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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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den Schnee. Sie hielt sich an den Ästen der Winterbäume fest, während sie zu dem Steilweg
watete. Und immer wieder sah sie sich um in der bangen Befürchtung, Loved könnte trotz ihres Kusses erwacht sein und sie suchen. Doch bald hatte sie auch den Abhang hinter sich gelassen und kletterte in Richtung Strand. Es war noch tief in der Nacht, als sie ihn mit aufgeschürften Händen und Fußsohlen erreichte.
    Die Uferfelsen waren von einer dünnen Eisschicht überzogen und zu rutschig, um sicher zu stehen, also watete sie bis zu den Knien ins Meer. Die scharfen, muschelähnlichen Panzer von Seepocken drückten in ihre Fersen.
    Sie ging noch tiefer ins Wasser und versuchte zu verdrängen, wie sehr sie den nassen Atem des Meeres verabscheute. Ihre Zehen ertasteten eine scharfkantige Muschel. Sie bückte sich und hob sie auf. Eine Weile überlegte sie, dann zog sie die Schale mit einer schnellen Bewegung über ihren Unterarm. Es tat nicht einmal weh, so taub war ihre Haut schon von der Kälte. Aus dem Schnitt quoll Blut und tropfte ins Meer. Beeil dich, Dajee , dachte sie und tauchte den Arm ins Wasser.
    Sie waren so schnell da, dass sie trotzdem erschrak. Nicht Zia, sondern drei andere Haie. Summer hielt den Atem an. Bitte , flehte sie. Lass es keinen von König Beras’ Haien sein.
    Ein riesiger Fischkörper schoss auf sie zu - und drehte dicht vor ihr ab. Die Welle drängte sie einen Schritt zurück. Unter der Wasseroberfläche sah sie im Mondlicht die matten, wie toten Augen eines anderen Raubfisches, dann schreckte auch er vor der Zorya zurück und verschwand wieder im tieferen Wasser. Summer nahm ihren ganzen Mut zusammen und ließ sich weiter ins Wasser gleiten. Bis zur Brust, bis zu den Schultern. Unter ihren Sohlen der raue Fels. Dann hob die nächste sanfte Welle sie vom Boden hoch und sie begann in ihrer unbeholfenen Art zu schwimmen. Der Widerwillen gegen das Wasser war so groß, dass sie beim Salzgeschmack
würgen musste. Und in einem solchen Wasser bin ich früher ertrunken? Bei der Vorstellung streifte ein Anflug von Panik sie, aber sie machte sich klar, dass sie schwamm und nicht ertrinken würde. Die Küste war immer noch nah genug, und offenbar gab es hier keine gefährlichen Strömungen. Nur endlose Wellen und den dunklen Glanz bewegter Wasserhaut. Sie fragte sich, wie ein Mensch die Kälte wahrnehmen mochte. Wie lange würde es dauern, bis er bewusstlos und unterkühlt auf seinen letzten Herzschlag wartete? Fünf Minuten? Länger? Unwillkürlich paddelte sie schneller. Die Haie umkreisten sie, doch sie scheuten sich immer noch, näher zu kommen. Aber die Wasserbewegung und der Sog ihrer Flossenschläge machten es ihr schwer. Sie schluckte Wasser und hustete. Hektisch begann sie zu strampeln, als eine Welle über ihren Kopf rollte und sie unter Wasser drückte. Für einen Moment wusste sie nicht mehr, wo oben und unten war und ob sie mit jeder Bewegung noch tiefer sank. Dann packte eine kleine Hand ihren Fußknöchel. Summers Atem entwich ihrem Mund in einer sprudelnden Wolke. Salz brannte in ihrer Nase und ihren Augen. Würgend und hustend kam sie an die Wasseroberfläche und wäre sofort wieder untergegangen, hätte ein dünner Arm, der sich um ihre Kehle legte, sie nicht an der Wasseroberfläche gehalten. »Wenn du so strampelst, vertreibst du Zia. Was machst du hier im Wasser? Ich dachte, du magst es nicht?«
    Im selben Moment strich der riesige Haikörper so dicht an ihrem Bein entlang, dass sie erstarrte.
    Die Totenkopfschwärmer umschwirrten aufgeregt ihren Kopf.
    »Zia hat mich geweckt«, sagte Dajee ohne große Begeisterung und gähnte. »Ich habe auf der Insel so fest geschlafen. Ich dachte schon, dir sei etwas passiert. Aber dann habe ich auch dein Leuchten im Wasser gesehen.«

    Ihr Gesicht wirkte winzig. Ihre Locken trieben wie schwarzer Tang um ihre Schultern. Die Fischschuppen ihres Schwimmanzugs glänzten silbern im Mondlicht.
    »Ich danke euch so sehr, dass ihr gekommen seid«, sagte Summer aus tiefster Seele.
    »Du hast Glück, dass ich noch da bin«, bemerkte die Kleine spitz. »Zia wollte schon längst ins südlichere Meer aufbrechen, dorthin, wo es im Winter wärmer ist als hier. Aber ich wollte noch bis morgen warten. Warum hast du mich gerufen?« Jetzt trat ein hoffnungsvolles Funkeln in ihre Augen. »Hast du mir etwas mitgebracht?«
    »Dajee, ich … nein, ich habe diesmal kein Geschenk für dich. Aber ich brauche deine Hilfe. Bitte! Ich muss zur Zitadelle. In den Tempel der

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