Ascheherz
Haie.«
Das Mädchen riss die Augen auf und ließ sie los. »Spinnst du?« Ihre Miene verfinsterte sich. »Da haben sie gestern gesprengt. Die Wellen hat Zia noch bei den Inseln gespürt. Und hast du nicht die vielen toten Fische gesehen …«
»Doch, habe ich. Eben deshalb muss ich dorthin! Ich muss … etwas in Ordnung bringen.«
»Dann geh zu Fuß!«
»He!«, rief Summer. Sie erwischte gerade noch den Fußknöchel des Mädchens, bevor es davonkraulen konnte, und riss es mit aller Kraft zurück.
»Lass mich los!«, kreischte Dajee und trat nach ihr.
»Nicht, bevor du mir hilfst!«, fuhr Summer sie an. Wasser schwappte wieder gegen ihre Nase und brannte wie Feuer. »Es ist nicht für mich … es ist … für die Töchter von Tänzer Licht.«
Endlich erlahmten die Bewegungen. »Töchter?«, fragte Dajee misstrauisch. »Er hat doch gar keine Töchter.«
»Ach wirklich? Das werde ich ja wohl besser wissen als du, nicht wahr?«, schnappte Summer. »Ich bin schließlich seine Frau.«
Das schien die Kleine zumindest nachdenklich zu stimmen.
«Sind die Töchter auch so hässlich wie sein Bruder?«, fragte sie.
»Hässlicher. Deshalb weiß keiner von ihnen. Alle würden erschrecken. Aber Tänzer Licht liebt sie.« Summers Muskeln glühten bereits, prustend hielt sie sich an der Oberfläche. Trotzdem versuchte sie, die ganze Autorität einer Erwachsenen in ihre Worte zu legen. »Wenn du mich jetzt nicht zur Zitadelle bringst, dann wird Tänzer Licht unglücklich sein. Denn alle seine Töchter werden sterben müssen. Und im Gegensatz zu den Menschen können sie kein weiteres Leben beginnen. Und eines sage ich dir, Tänzer Licht wird so wütend auf die Menschen sein, dass er keinem von euch - keinem! - mehr das Land nach dem Tod zeigen wird. Kein Rückwärtsleben mehr, Dajee. Und keine Wiederkehr. Und wenn sie sich dann fragen, warum das so ist, werde ich ihnen sagen, dass ich es nicht verhindern konnte, weil - tja - ein kleines Mädchen namens Dajee zwar alle Schneehühner und Kaninchen verschlingt, die ich ihr an den Strand bringe, mir aber nicht helfen wollte, als es um die armen Töchter ging.«
Es war gemein, aber immerhin war es ihr gelungen, die Kleine betroffen zu machen. Zia drehte nervös ihre Runden, was zumindest die anderen Haie auf Abstand hielt.
Dajee kaute auf ihrer Unterlippe herum, dann schien sie zu dem Schluss zu kommen, dass sie lieber Summer helfen als Tänzer Licht verärgern wollte.
»Ich weiß aber nicht, ob es geht«, meinte sie. »Du wirst ziemlich lange die Luft anhalten müssen.«
»Mach dir keine Sorgen um mich. Bringe mich einfach nur hin.«
Das Mädchen schnaubte. »Na gut«, meinte es dann missmutig. »Aber Zia wird es nicht gefallen.«
Nie hatte sie sich vorstellen können, wie Dajees Leben an der Seite des Raubfisches aussah. Jetzt erfuhr sie, wie erschreckend es sein konnte. Die Kleine umklammerte ihre Taille mit erstaunlicher Kraft, aber ihre Arme schmerzten dennoch, so fest hielt sie sich an der riesigen Haiflosse fest. Unter ihr war Zia ein schlängelndes, davonschießendes Paket aus Muskeln und Geschwindigkeit. Das Wasser glitt so schnell an Summer ab, dass der Sog an ihren Hosen zerrte und der Militärgürtel tief in ihre Hüfte einschnitt. Die Geräusche des Meeres waren noch schlimmer als damals in der Koje im Bauch der Nymphea . Und jedes Mal, wenn Zia sie wieder zur Oberfläche trug, damit sie Luft schnappen konnte, verschluckte sie sich und musste husten.
Sie wusste nicht, wie lange sie diesen Albtraum schon durchlebte - eine Stunde? Länger? -, als sie beim Auftauchen in der Ferne die Zitadelle erblickte. Oder das, was von ihr übrig war. Nur fünf Türme standen ganz, und davon sahen drei aus wie Krieger, die sich nur noch mühsam auf den Beinen hielten. Sogar der erste Turm trug Wunden. Im oberen Teil, dicht unter dem Rondell, hatte eine Explosion ein schartiges Loch in die Mauern gerissen. Die prächtigen Fenster hatten sich in schwarze Höhlen eines Totenschädels verwandelt, so, als seien sie verbarrikadiert worden. Der sicherste Teil der Zitadelle ist unversehrt .
Dann tauchte Zia wieder unter. Die raue Haut des Hais schabte über ihre Ellenbogen. Hier, in Sichtweite der Wachposten, mussten sie tief tauchen. Der Druck auf ihren Ohren wurde unerträglich
und das Pochen ihres Blutes so laut, dass es in ihrem Kopf dröhnte. Du erstickst nicht , versuchte sie sich zu beruhigen. Dein Blut ist kalt, das Herz schlägt langsamer. Du hältst es länger aus, wenn
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