Ascheherz
das Summer verstummen ließ. Verdammt, was machst du? Das ist der falsche Weg . Du hast keine Chance gegen sie!
Moiras Augen waren dunkel geworden, wie das Graumeer an einem stürmischen Tag. »Es sind keine Menschen, gegen die hier Krieg geführt wird«, sagte sie. »Ich kenne Lady Mar. Besser, als
mir lieb ist. Ich habe gesehen, wozu sie in der Lage ist. Ich habe ihr wahres Gesicht gesehen. Es ist das Gesicht des Todes.«
Im Bruchteil einer Sekunde überschlug Summer ihre Möglichkeiten. Sie hat mir geantwortet . Und mein Vorwurf hat sie getroffen. Sie hätte mich längst erschießen können, aber sie tut es nicht. Jetzt fiel ihr auf, wie erschöpft Moira aussah. Ein gequälter Zug um Mund und Augen ließ sie älter aussehen, als sie war.
Summer befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge.
»Ich weiß, ich kenne Lady Mar auch«, erwiderte sie vorsichtig. »Ebenfalls besser, als mir lieb ist. Ich habe sie zweimal betrogen, und ich würde es ein drittes Mal tun, wenn ich mein Leben retten könnte. Aber darum geht es nicht. Sieh mich an. Bin ich etwa nicht menschlich?«
»Bist du es?«, gab Moira hart zurück. »Du scheinst es zu sein. Immer wenn ich dich treffe, bist du in Schwierigkeiten, das ist sehr menschlich. Und das Schlimmste ist, dass ich dich sogar mochte. Aber du gehörst zu ihnen .«
»Ich bin also schwarz - und du bist weiß?«
Moiras Augen verengten sich. Innerlich trat Summer einen vorsichtigen Schritt zurück.
»Du weißt nicht, mit wem du redest«, sagte Moira gefährlich leise. Sie ließ den Schlagstock los. Ohne die Pistole zu senken, hob sie den linken Unterarm an ihren Mund und löste mit den Zähnen die Schnalle des ledernen Armschoners. Unwillig schüttelte sie ihn ab und hielt den Arm hoch, bis Summer eine Tätowierung sehen konnte. Es war eine weiße Lilie, die je nach Lichteinfall einen zarten grünblauen Schimmer bekam. Summer klappte der Mund auf.
»Du hast ihr gedient?«, flüsterte sie fassungslos. »Lady Mar? Du warst auf ihrer Seite?«
»Lange her«, sagte Moira knapp. »Und lange genug, um zu wissen, wer ihr seid. Sie herrschte fast zwanzig Jahre lang über meine Stadt. Also erzähl du mir nichts von Schwarz und Weiß!«
»Soll ich dir sagen, was ich an dir immer mochte?«, sagte Summer leise. »Dass du fair warst. Und jedem eine Chance gegeben hast. Auch mir, obwohl du mir nicht vertraut hast. Du hast sogar einen guten Verräter zu schätzen gewusst. Die Moira, die ich kannte, hätte mir wenigstens zugehört.«
»Was glaubst du, warum ich dich noch nicht erschossen habe? Du kannst es gerne versuchen. Nenn mir einen Grund, warum ich noch einmal dem Tod dienen sollte!«
»Du dienst ihm jetzt schon. Er nennt sich Geresa und er ist da oben, in den Kammern der Winde. Ganz allein, nehme ich an, denn er will sein Geheimnis vor euch hüten. Ihr habt Kisten nach oben verfrachtet, nicht wahr? Fändest du den Krieg immer noch so gerecht, wenn ich dir sage, dass darin gefangene und schwer verletzte Zorya sind? Du hast recht, Lady Mar ist eine erschreckende Herrscherin, und dennoch macht sie sich nur die Gier und das Machtstreben der Menschen zunutze. Sie hat nicht einmal die Macht, dem Mann dort oben den Garaus zu machen. Er will der Herr über Leben und Tod werden und er hat willige Helfer in euch gefunden.«
»Wer bist du wirklich?«, fragte Moira. »Lady Tods Tochter?«
Jetzt musste Summer trotz allem lachen. »Töchter und Söhne gehören dem Leben. Nein, ich bin nur eine Zorya. Ich sollte Indigo, den du Geresa nennst, den Todeskuss geben. Aber er betrog mich. Und nun ist er auf dem besten Weg, ein Lord Mar zu werden.« Als Moira schwieg, fuhr sie leise und eindringlich fort: »Ich bin nur gekommen, um ihm das zu bringen, was ohnehin sein Schicksal war. Wir bestimmen niemals über Leben oder Tod. Wir
sind keine Richter. Wir sind dort, wo wir gerufen werden. Auch du wirst eines Tages nach einer von uns rufen. Aber was, wenn du rufst und niemand wird da sein? Was, wenn du müde bist? Willst du immer leben? Was werden die Menschen sein, die nicht sterben? Insekten, die in Bernstein gefangen sind, dazu verdammt, ewig zu atmen.« Ihre Arme schmerzten und sie ließ sie vorsichtig nach unten sinken. Und Moira ließ es geschehen. »Stell es dir vor, Moira, um mehr bitte ich dich nicht. Stell dir nur einen Moment vor, was es bedeutet, wenn ein Mensch Macht über den Tod hat.«
Moira senkte die Waffe nicht, aber zu Summers Überraschung schenkte sie ihr ein schmales Lächeln. »Entweder hast
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