Ascheherz
seltsamen Zärtlichkeit über ihn und küsste ihn. Seine Lippen waren staubig und brannten ebenso wie das Schwert. Das Gift der Falter. Doch sie zuckte nicht zurück.
Die Zeit hob und senkte sich wie ein Atem und stand dann still. Und Lamaya sah.
Die Festung am Meer, die sie so gut kannte. Damals war sie noch keine Ruine, sondern gerade erst erbaut, die Mauern noch hell, die Bäume noch nicht gewaltig und groß. Sie sah Kriege, die vor mehr als zweihundert Jahren geführt worden waren, Bärenjagden und gefährliche Turniere. Und Indigo. Ein schmächtiges Kind mit großen, neugierigen Augen und einem Lachen, mit dem es jeden Menschen für sich gewinnen konnte. Er war der jüngste von fünf Brüdern, der einzige Sohn der neuen Herrin auf der Burg, nachdem die erste Frau des Lords gestorben war.
Und da die Erbfolge sich nach der Mutter bestimmte, war er somit der rechtmäßige Erbe und ein Dorn im Auge seiner Halbbrüder. Die Familie der verstorbenen Herrin trachtete ihm nach dem Leben. Schon im Alter von sieben Jahren zählte niemand mehr die heimtückischen Mordversuche, die ihn immer wieder geschwächt zurückließen. Doch stets entkam er wie durch ein Wunder.
Sie sah: Indigo, acht Jahre alt, fiebrig in einem viel zu großen Bett liegend. Die Wunde, die ein angeblich verirrter Pfeil verursacht hatte, verheilte nur schlecht.
Später, mit zwölf, ein Ausritt, bei dem eine Ahnung ihn ein Stück Wiese mit seltsam dicht stehenden Blumen umreiten ließ, während sein Diener mitsamt dem Pferd in eine Fallgrube stürzte. Der Diener war sein einziger Vertrauter gewesen.
Sie sah: Indigo, der immer misstrauischer und einsamer wurde und zu einem Luchs heranwuchs, mit Instinkten, die ihn vor dem Tod bewahrten.
Nach dem Tod seiner Eltern wurde er mit nur zwanzig Jahren der jüngste Lord, der jemals im Nordland an die Macht kam. Zwei seiner Halbbrüder flohen, zwei andere verbannte er. Immer weiter strebte er nach Macht. Er liebte eine Frau mit lohfarbenem Haar, doch er musste bald erkennen, dass ihn sogar die Liebe nur dem Tod näher brachte. Sein Herz brach, als seine Frau und sein Sohn am Fieber starben - oder vielleicht auch am Gift, das irgendeiner seiner Feinde in die Küche geschmuggelt hatte. Von diesem Tag an wurde er der Indigo, den alle den »Alchimisten« nannten. Exzentrisch und ohne Gnade, das Herz verschlossen wie eine Rüstkammer. Ein Mann, vor dem keiner seiner Gegner mehr sicher war.
Mit dreißig Jahren war er einsam, müde von der Macht und
süchtig nach Vergnügungen und Wundern. Auch das war Indigo - ein Mann, der Prunk liebte und Musik.
Schon zehn Jahre lang herrschte er und hatte so viele Feinde wie niemand zuvor. Aber Indigo war ein Luchs und passte sich an. Er verausgabte sich nicht länger im Kampf, sondern nutzte nun die Kunst der Intrige. Er studierte die Menschen ebenso genau wie die Insekten, die er hinter Glas aufbewahrte. Nächtelang schloss er sich in seinen unterirdischen Kammern ein, wo er die Wissenschaft der Giftmischereien studierte. Ein Alchimist, der davon träumte, Herr über das Leben und den Tod anderer zu sein. Er lernte die Schwächen seiner Gegner kennen, legte seine Netze aus und ließ sie an ihren eigenen Schwächen scheitern.
Dennoch gelang einem seiner Halbbrüder ein Attentat, bei dem Indigo beinahe starb. Während der Arzt seine Wunden wieder zusammenflickte, lag Indigo schon der Name seiner Zorya auf den Lippen, doch er verschloss seinen Mund und wurde wieder gesund. Nutzlos für das Schwert blieb sein rechter Arm.
Er erholte sich und entdeckte bei seinem Schmied einen Jungen, der beidhändig mit der Waffe umgehen konnte. Vierzehn Jahre war er alt, wirkte jedoch so erwachsen wie jemand, der schon zu viel im Leben gesehen hatte. Der Junge hieß Amand und trug Narben. Und in seinen Augen sah Indigo sein eigenes Schicksal gespiegelt.
Loved! Summers Herz krampfte sich zusammen, als sie ihren Geliebten mit Indigos Augen sah: ernst, konzentriert im Kampf mit der linken Hand. Noch nicht so groß, sondern noch schlaksig und erstaunlich jung. Und doch hatte er schon diesen intensiven Blick und das Lachen, das sie so sehr liebte.
Indigo kaufte ihn von der Schmiede los, kleidete ihn ein wie einen jungen Lord. Zum ersten Mal seit Jahren vertraute er jemandem, wenn auch nicht ganz und gar. Sie lachten gemeinsam und waren oft so vertraut wie Vater und Sohn. Zwei Jahre lang lernte Indigo von dem Jungen das Kämpfen mit der linken Hand, dann wirkten sie wie Spiegelbilder - beide
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