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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Gleichgewicht brachte und zurücktaumeln ließ. Sein gebogenes Messer war matt vom Staub. Summers Nase brannte, als sie einatmete. Der Mann fing sich ab und richtete sich mit zornfunkelnden Augen wieder auf. Tors Indigo. Unter Millionen hätte sie die leicht schrägen Augen erkannt, das Gesicht, gut aussehend und mit einem etwas füchsischen Ausdruck. Das Haar hatte er straff zurückgekämmt. Und er spielte seine Rolle als Herr über Leben und Tod gut. Sein schwarzer, schmal geschnittener Mantel reichte bis zum Boden. Er sah aus wie ein Magier. Und das gebogene Messer, mit dem er sie angegriffen hatte, erinnerte an die Opfermesser alter Völker.
    »Was suchst du hier?«, brüllte er sie an.
    »Rate«, gab sie gefährlich leise zurück.
    Sie konnte sehen, wie die Muskeln an seinem Kiefer sich spannten.
Er sprang ohne Vorwarnung los, doch auch diese Lektion hatte sie von Loved gut gelernt. Sie überrumpelte ihn mit einer Seitwärtsdrehung und wieder wäre er um ein Haar gestürzt. »Ich hatte einen guten Lehrer«, sagte sie. »Einen Linkshänder. Vielleicht erinnerst du dich an ihn?«
    Mit grimmiger Zufriedenheit beobachtete sie, wie der Zorn in seinen Augen erlosch. Zweifel huschten über seine Züge, dann Fassungslosigkeit. Und dann - endlich - erkannte er sie.
    Sein Mund klappte auf.
    »Das … das ist unmöglich!«, stammelte er. »Du bist tot! Ich habe dich eingemauert neben dem Grundstein meines Hauses in Telis!«
    »Du weißt nicht alles über uns. Du hast nur darauf gehört, ob mein Herz noch schlägt. Das war ein Fehler. Manche Falter halten Winterschlaf, und auch die Zorya sind Kinder der Luft. Wenn das Entsetzen und die Kälte zu groß werden, dann erstarrt unser Herz. Aber Sterben ist mehr als das, Indigo. Sehr viel mehr! Du hättest mir wohl auch das Herz nehmen sollen, wie du es bei Beljén getan hast.«
    Er wurde so blass, dass er plötzlich durchscheinend wirkte - ein Stück Papier, das jeder Windstoß mit sich forttragen würde. Sie hatte erwartet, dass er sie wieder angreifen würde, doch diesmal überraschte er sie tatsächlich. Er drehte sich einfach auf dem Absatz um und rannte hinaus. Als sie das Splittern von Glas hörte, wusste sie, was er vorhatte. Grund genug für Furcht, aber auch ohne einen letzten Blick auf Beljéns armen Körper wusste sie, dass die Zeit der Angst für immer vorbei war. Sie zerrte sich den nassen Rollkragen ihres Pullovers über Mund und Nase und stürmte durch den glimmenden Staub hinter Indigo her. Glasscherben lagen überall, aber sie spürte die Schnitte an ihren Sohlen nicht.
Ihre Augen und ihre Stirn brannten vom Flügelstaub. Sie kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Indigo auf einen Schalter neben der Treppe schlug und dann nach oben stürmte. Ein kreischender Alarmton erklang. Indigos Mantel flatterte, als er die Wendeltreppe hinaufstürmte. Wind heulte auf, als er die Dachklappe aufriss. Im Rennen riss sie ein langes Messer von einem Tisch, das fast wie ein Schwert wirkte. Über ihr fiel die Klappe zum Dach zu. Das Schaben eines Riegels erklang. Irgendwo aus der Richtung der Stahltür hörte sie rumpelnde Schläge. Sie legte das Langmesser beiseite, holte mit fliegenden Fingern die Metallkapsel mit dem Sprengstoff hervor.
    Offenbar hatte sie den Winkel nicht gut eingeschätzt. Die Explosion hätte nur die Klappe aufsprengen sollen. Doch als Summer mit klingelnden Ohren und hustend hinter der Mauer hervorkam, die ihr als Schutz gedient hatte, sah sie, dass die beiden obersten Treppenstufen fehlten. Dort, wo die Klappe gewesen war, schimmerte durch den Rauch ein Stück Morgenhimmel.
    Sie packte das längere Messer und stürzte nach oben. Indigo hatte den Fehler gemacht, direkt neben der Klappe zu warten. Die Wucht der Explosion hatte ihn zu Boden geschleudert. Zum Glück nicht allzu nah am Rand. Wind strich in einem Wirbel über die Fläche, harmlos, aber Summer wusste, dass sie nicht zu nah an den Rand der Plattform kommen durften. Tellus’ Erzählungen von den Tornadowirbeln hatte sie noch deutlich im Ohr. Gerade als sie sich auf das Dach hochzog und aufsprang, kam auch Indigo wieder keuchend auf die Beine.
    Summer verlor keine Sekunde mehr, sondern sprintete los. Sie hatte den Vorteil, dass Indigo immer noch überrumpelt und orientierungslos war. Doch dann überraschte er sie. Kurz bevor sie ihn erreichte, warf er das Messer von der linken in die rechte Hand
und parierte ihren Vorstoß. Sie verloren beide um ein Haar das Gleichgewicht, als ein

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