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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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hoch gewachsen, einander ähnlich geworden in ihren Bewegungen. Doch auch das Schwert in der linken Hand nützte Indigo nichts gegen seinen größten Feind.
    Er kam in der Gestalt der Kalten Hand, einer Krankheit, die ihn husten und blass werden ließ. Doch noch widerstand er dieser Niederlage. Er ließ sein Bett mitten im großen Tanzsaal aufbauen und dort jede Nacht dem Tod zum Trotz ein großes Fest feiern. Auf dem Bett lag er wie auf einem Thronpodest, umgeben von Schleiervorhängen, und hielt sich an der Musik und dem Licht fest, um nicht zu sterben. Doch es half nichts.
    Am zehnten Tag seiner Erkrankung sank er zurück in die Kissen und spürte die Kälte in seine Knochen kriechen. Er flüsterte den Namen einer Frau, die Zeit stand still und … sie erschien.
    An dieser Stelle vermengten sich die Bilder zweier Leben. Wie im Wechselspiel von Indigos und ihren Erinnerungen sah Summer alles. Und die Vergangenheit wurde zum Hier. Und Jetzt.
    Eben will Indigo die Augen schließen, als die Botin an seinem Bett erscheint. Ganz plötzlich ist sie da, so als hätte sie einfach einen Tarnmantel abgeworfen, der sie bisher unsichtbar machte. Seine Verwunderung darüber, dass der Tod nur ein Mädchen sein soll, ist grenzenlos. Einen Augenblick lang ist er sogar verärgert
und gekränkt. Er, der so viele Attentate überlebt hat, soll nun von einem Geschöpf besiegt werden, das nicht einmal halb so alt ist wie er? Will Lady Tod, der er so oft entkommen ist, ihn damit verhöhnen? Ihm seine Schwäche noch einmal überdeutlich vor Augen führen und ihn Demut lehren? Und dennoch kann er der Todesbotin mit dem rotblonden Haar kaum widerstehen. Ihre Lippen … so süß und nah!
    Töne klingen noch in der Luft nach, obwohl die Musiker in ihrer Bewegung eingefroren sind.
    Die Botin, die sich schon zu ihm heruntergebeugt hat, um ihn zu küssen, richtet sich wieder auf.
    »Was ist das?«, fragt sie leise.
    »Musik«, antwortet er. »Und Tanz. Das ist das Leben.« Und dann fleht er sie an und das Leben ist ihm so teuer wie nie. »Lass mir nur noch einen Moment! Lass mich nur noch dieses eine Lied hören.« Sie zögert tatsächlich. Und blickt zu den Tanzenden. In diesem Moment erwachen sie aus ihrer Erstarrung. Die Musiker streichen wieder über Geigenbögen, Gitarren und Flöten erklingen. Die Augen des Mädchens werden groß, seine Lippen öffnen sich leicht vor Erstaunen. Er sieht die Lüster in den braunen Augen gespiegelt. Und erkennt den Funken der Faszination. Oh ja, wie gut kennt er den Zauber von Wundern, die man eben erst entdeckt! Es ist wie Verliebtheit, wie der erste Kuss, wie ein unbändiger Hunger, den man ganz plötzlich spürt. Und nun weiß er auch, warum nur dieses Mädchen und keine andere sein Tod sein kann: Im Grunde ihrer Seelen sind sie einander völlig gleich. Auch sie, das erkennt Indigo, der Luchs, hungert nach einem Leben, das es für beide nicht geben darf - für Indigo nicht mehr. Und für die Todesbotin nie.
    Sie öffnet den Schleier, schreitet in den Saal und alle Augen
richten sich auf das fremde Mädchen im Trauerkleid. Dies ist der Augenblick, in dem er seine Chance wittert.
    Die Musik kommt aus dem Takt, die Wachen sehen besorgt zu ihm, aber Indigo richtet sich halb auf und befiehlt ihnen mit einem Wink, dort zu bleiben, wo sie sind.
    »Tanzt mit ihr! Sie ist mein Gast!«, ruft er in den Raum.
    Und während er beobachtet, wie sie durch den Raum geht und sich immer wieder umsieht, als würde sie nach den Tönen und Farben suchen, blitzt in seinen Gedanken ein verzweifelter Plan auf. Viele Tänzer weichen in einer seltsamen Scheu vor ihr zurück, aber Amand, sein Ziehsohn und junger Freund, der Einzige, dem er an manchen Tagen sogar sein Leben anvertraut hätte, fasst sich als Erster ein Herz und tritt zu ihr. Noch nie hat er den Jungen so geliebt wie jetzt. Er hört nicht, was er zu dem Tod in Mädchengestalt sagt, aber sie nickt und lässt sich von ihm durch den Raum führen . Erschöpft lässt Indigo sich in die Kissen zurücksinken und schließt die Augen. Und als sie wiederkommt, nach einer Stunde oder vielleicht auch einer ganzen Ewigkeit, hat er seinen Plan gefasst und bittet leise: »Schenk mir nur einen Tag, Herrin. Küss mich morgen. Und ich zeige dir alle Musik, den Tanz. Das Leben und das Licht, ich schenke es dir!«
    Die Botin betrachtet die Musiker und die Blumen und hört das Lachen der Gäste durch den Schleier. »Einen Tag!«, sagt sie mit herrischer Stimme.
    Und keiner von beiden

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