Ascheherz
Ton an, nichts schien richtig zusammenzupassen. Anzejs Kuss. Ihr brachte er nicht den Tod, sondern Vergessen. So viel zu seinen Schwüren, mich zu lieben , dachte sie grimmig. Wir haben uns beide nicht geliebt, aber ich Idiotin habe ihm jedes Wort geglaubt, weil ich es nicht besser wusste! Er hatte lediglich seine ganze List eingesetzt, um sie ins Nordland zu bringen - das Land, an das sie sich schemenhaft erinnerte. Aber warum wollte er um jeden Preis verhindern, dass ich mich erinnere?
»Wer bist du?« , hallten Moiras Worte ihr in den Ohren.
» Du weißt, ich töte dich, wenn du versagst«, raunte Lady Tod.
Und Moiras Stimme sagte: »Man nennt sie Lady Tod.«
Lady Tod.
Summer rang krampfhaft nach Luft und kam benommen auf die Beine.
… in der weißen Zitadelle?
Als hätte der Gedanke ihre Welt wieder aus den Angeln gehoben, schien sich die Lichtung um sie zu drehen. Die Stimmen der vielen Mädchen, die sie gewesen war, vermischten sich in ihrem Kopf und schrien ihr Fragen zu. Doch über allem stand schweigend
die Frau im weißen Kleid. Schrecklich und schön war sie und sah Summer mit der eisigen Ruhe eines Spiegelbildes an.
Ich muss nachdenken , dachte Summer. Ich muss mich wieder in die Höhle verkriechen und nachdenken. Ich muss …
Plötzlich konnte sie den Anblick des Soldaten nicht länger ertragen. Sie nahm das Messer aus dem Gras und wandte sich von ihm ab, bereit, bis ans Ende der Welt zu fliehen.
Und blickte in graugrüne Augen, die vor Hass zu glühen schienen.
Diesmal wusste sie mit Sicherheit, dass er es war. Erinnerung und Wirklichkeit passten genau zusammen. Die Traumgestalt überlagerte seinen Körper. Der Blutmann aus ihren Albträumen war in einen altertümlichen langen Mantel gekleidet und seine behandschuhte Hand umklammerte den Schwertgriff. Der Mann aus dem Heute trug zwar eine grauschwarze Jacke mit verwaschenem Tarnmuster. Aber auch er hatte dunkle Lederhandschuhe. Und er hielt das Messer in der richtigen Hand.
Die Angst kam wie ein Reflex aus so vielen Nächten und überwältigte sie. Jede Einzelheit brannte sich in ihr Gedächtnis ein. Sein Gesicht, das mit dunkler Erdfarbe geschwärzt war. Das dunkelbraune Haar, das ihm in wirren Wellen über Stirn und Augen fiel. Zwischen den Strähnen blitzte der hasserfüllte Blick hervor.
»Dachte ich mir doch, dass du zurückkommen würdest«, sagte er gefährlich leise. Ohne Vorwarnung stürzte er sich auf sie. Summer war so überrascht von seiner Schnelligkeit, dass sie viel zu spät reagierte. Sie konnte gerade noch das Messer aufschnappen lassen, als er schon bei ihr war und ihr die Waffe aus der Hand
schlug. In irgendeinem tauben Winkel ihres Bewusstseins blitzte eine weitere Frage auf: Kann er mich überhaupt töten? Ist ein Todesbote nicht unsterblich?
Schmerz zuckte ihren Arm hoch und machte ihr auf ernüchternde Art klar, dass sie sehr, sehr sterblich war. Ihr Messer flog davon und fing blitzend das Gold von Feuer und Abendrot. Der zweite Hieb nahm ihr die Luft und brachte sie zu Fall. Keuchend trat sie um sich, biss nach seiner Hand und wand sich in seinem Griff. Als sein Arm sich um ihren Hals legte, wurde ihr für einen Moment schwarz vor Augen. Verzweifelt wehrte sie sich gegen den Würgegriff. Er lockerte sich tatsächlich ein wenig - als Hufgetrappel in der Nähe ertönte. Summer holte Luft und schrie aus voller Kehle: »Farrin!«
Was ein Fehler war.
Das Pferd brach aus dem Unterholz, doch der Reiter war nicht Farrin, sondern ein Soldat, der die gleiche Tarnjacke trug wie der Blutmann. Er gehört zu ihnen! , schrie eine panische Stimme in ihrem Kopf. Zu Lady Tods Leuten! Der Reiter erfasste die Situation mit einem Blick und Summer hasste ihn für sein triumphierendes Grinsen. Er trieb sein Pferd direkt auf Summer zu. Der Blutmann ließ sie los und schleuderte sie so grob zur Seite, dass sie stürzte. Dann schnellte er auf den Reiter zu.
Summer dachte nicht nach, sondern rappelte sich auf und floh. Ihr Atem brannte in ihren Lungen. Hinter sich hörte sie den überraschten Ruf des Reiters. Dann Hufgetrappel, Schreie und die Geräusche eines Kampfes. Gleich darauf wurde Galoppschlag lauter. Als Summer im Rennen einen Blick über die Schulter werfen wollte, brachte der Aufprall einer Pferdeschulter sie zu Fall. Sie sah noch, wie der Boden auf sie zuraste, dann löste sich die Welt in Ascheregen auf.
Teil III
indigo
fesseln
N och bevor sie die Augen öffnete, ahnte sie, dass es diesmal kein gnädiges Erwachen aus dem
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