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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Fürstin , beschwor die Stimme des Katzenlebens sie. Aber heute hörte Summer nicht zu, sondern kroch auf Ellenbogen und Knien über den Wall und robbte weiter über das nasse Gras. Das Summen kam von rechts, wo ein weiterer geborstener Baum stand. Abgerissene Äste lagen im Gras. Der Stamm rauchte noch vom Einschlag.
    Das Erste, was Summer entdeckte, war eine Stiefelspitze, die aus dem Gras emporragte. Kein Eisenbeschlag, also konnte es nicht Moiras Stiefel sein. Dann entdeckte sie die Hand. Fahle Finger krampften sich um eine Wurzel, die wie eine hölzerne Schlinge aus der Erde ragte, als wollten sie sich am Leben festhalten. Summer vergaß Moira, Farrin und den Krieg. Und auch jede Gefahr, in der sie selbst schwebte. So schnell sie konnte, kroch sie auf Knien und Händen zu dem zersplitterten Baum. Unter dem Baum lag ein junger Mann. Auf den ersten Blick erkannte Summer, dass er kein Verwundeter mehr war, sondern ein Sterbender. Der Schuss hatte ihn in die rechte Seite der Brust getroffen, und er presste eine Hand auf die Wunde. Sein Gesicht hatte die Farbe
von weißer Asche, die Augen wirkten darin dunkel und riesig, und sein Blick irrte bereits ziellos umher. Zwischen abgehackten Atemstößen versuchte er immer noch, dieses Lied zu summen.
    Hastig überbrückte Summer die letzten Meter, kniete sich neben ihn. Sie zögerte auch dann keine Sekunde, als sie das Lilienzeichen auf seinem Unterarm sah, das ihn als Soldat von Lady Mar auswies, sondern legte ihre Hand auf seine eiskalte Linke.
    »Ich bin hier!«, flüsterte sie ihm zu. »Ich lasse dich nicht allein.«
    Das Summen verstummte abrupt. Sie hatte nicht erwartet, dass er sie tatsächlich noch bewusst wahrnehmen würde. Umso mehr überraschte sie seine Reaktion. Er riss die Augen auf und sah sie mit klarem Blick an. Grenzenlose Erleichterung glättete seine Züge und ließ Summer erahnen, wie er ausgesehen hatte, wenn er glücklich war.
    »Du bist es!«, brachte er mühsam heraus. »Du bist gekommen!« Und dann lächelte er und alles an ihm wurde weich und jung. Summers Blick verschwamm und klärte sich erst wieder, als die Tränen über ihr Gesicht liefen. Er verwechselt mich! Und trotzdem antwortete sie: »Ja, ich bin es.« Noch während sie diese Worte aussprach, übermannte sie eine solche Zärtlichkeit für den Jungen, dass sie sein Lächeln erwiderte. »Lieg ganz ruhig. Hab keine Angst«, raunte sie ihm zu. »Ich bleibe bei dir.«
    Seine Linke, die eben noch die Wurzel umklammert hatte, entspannte sich. Summer ließ es zu, dass er ihre Hand ergriff und ihre Finger sich ineinander verflochten. Sein Atem wurde flacher. Vorsichtig beugte sie sich über ihn und strich ihm behutsam das nasse Haar aus der Stirn. In seinen Augen sah sie das verzerrte Spiegelbild des verwundeten Baumes und eine winzige Gestalt - sie selbst.
    »Wie schön du bist, Eljana«, murmelte er und schloss die Augen.

    Das Verrückte war nicht, dass sie mit einem Mal losgelöst von allem waren, einsam dahintreibend auf einer Insel im Nebel. Ohne Furcht, ohne Gestern und Morgen. Das Verrückte war, dass sie den Namen erkannte.
    Weil es ihr Name war.
    Weil der Junge sie und niemand anderen damit meinte.
    Schwindel erfasste sie. Sie war froh um den Halt, den seine Hand ihr gab, denn um sie herum begann die Zeit zu fließen. Die Wirklichkeit wurde zu einem Mahlstrom und jedes Luftholen fühlte sich so zäh an, als müsste sie unter Wasser atmen. Und mitten in diesem Sog erblühte die Erinnerung wie eine schwarze Blume, schön und beängstigend zugleich. Mit schlafwandlerischer Sicherheit wusste sie, was sie nun tun musste. Und dennoch beobachtete sie sich selbst erstaunt, während sie sich zu dem verwundeten Söldner hinunterbeugte und ihn sacht auf den Mund küsste.
    Und dann schien die Zeit rückwärts zu fließen.
    Von ihren Lippen löste sich etwas wie ein dunkler Puls, wie schwarzer Honig oder vielleicht auch nur ein neues, wortloses Lied. Flügelschlag von tausend nebelhaften Faltern klapperte an ihrem Ohr, sie konnte die staubigen Flügel wie Liebkosungen auf ihrer Haut spüren, ihrer Stirn, ihren Brauenbögen. Dann hörte jeder Gedanke auf zu sein, Sehen wurde zu Spüren und Spüren zu Wissen:
    Der Name des Jungen war Noret, und er stammte aus einem Dorf, das auf dem Territorium eines Lords namens Joras lag. Summer hatte noch nie davon gehört, aber sie wusste, dass das Dorf Inmar hieß, mehr noch: Sie sah die Häuser mit den schäbigen Schieferdächern vor sich. Sie sah ihn dort als

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