Aschenpummel (German Edition)
Schließlich hielt ich es nicht länger aus.
»Wen?«, stieß ich hervor. Seine Frau? Seine Freundin? Irgendeinen Typen für mich, damit ich ihn endlich in Ruhe ließ?
»Vertrauen Sie mir«, wiederholte er. Und das war das Letzte, das er sagte, bis ich aussteigen musste.
»Auf Wiedersehen, Frau Kis.«
»Auf Wiedersehen, Herr Nemeth.« Ich stieg aus, schritt hoheitsvoll neben der anfahrenden Straßenbahn her, und als sie verschwunden war, stürmte ich das erstbeste Lokal und verewigte mich in der Kloschüssel dort mit mindestens zwei Litern.
9
Es war halb eins, als ich die Stiegen hinaufschlich. Natürlich war es ein Triumph, unbemerkt an Tür Nummer drei vorbeizukommen, doch mir war gar nicht nach Feiern zumute.
Wen wollte er mir vorstellen? Sicher hatte das nichts mit der Buttersäuregeschichte zu tun, oder? Ich wollte niemand Neuen am Montag kennenlernen, ich wollte allein sein mit dem Piraten.
Vollkommen aufgelöst kam ich in meiner Wohnung an. Dort dann gleich der nächste Schlag: Die Wimperntusche hatte beschlossen, meine Augenpartie zu verlassen und dafür den Rest meines Gesichts in Beschlag zu nehmen. Dafür hatte der Lippenstift sein Versprechen, meinen Mund voluminöser erscheinen zu lassen, nicht nur gehalten, sondern sogar noch eins draufgelegt: Ich sah aus wie der Joker .
Und überhaupt – ich brauchte eine Schönheitsoperation! Zumindest Fett absaugen und Busen vergrößern. Das konnte in meinem Fall doch gar nicht so viel kosten. Die sollten mir einfach das Fett von den Oberschenkeln in den Busen stopfen. Das gäbe eine originelle Körbchengröße, K oder Q oder so.
Okay, Teddy, mahnte ich mich, komm runter. Du hast heute mehr erlebt als in den ganzen zweiunddreißig Jahren bisher. Du hast jetzt einen echten Draht zum Piraten. Du bekommst ein Auto geschenkt, und das noch dazu von einem Typen, auf den alle Frauen scharf sind. Das sind Gründe zum Feiern.
Und ich blöde Kuh war noch immer nicht glücklich!
Wenn ich alle Lebensratgeber, die ich je gelesen hatte, auf einen Stapel stellen würde, wäre ein Sprung von dieser Bücherturmspitze garantiert tödlich. Man frage mich nach irgendeinem Psychothema, egal nach welchem – ich schwöre mit erhobenen zwei Fingern, dass ich ein Buch dazu gelesen habe.
Vielleicht ein kurzer Auszug:
Endlich Mut zum NEIN sagen
Endlich Mut zum JA sagen
Wie entledige ich mich meiner Probleme
Wie entledige ich mich meiner Probleme in zehn Tagen
Wie entledige ich mich meiner Mutter
Die Befreiung zur Sexualität
Ich bin stark
Endlich Frau sein
So werden Sie nie mehr gemobbt
Hilfe in allen Lebenslagen
Et cetera, et cetera, et cetera.
Nachdem ich irgendwann mal alle Themen durchhatte, die auf mich passten, hatte ich begonnen, mich über Probleme zu informieren, die ich nicht hatte:
Endlich Mann sein
Gibt es ein Leben nach dem Wechsel?
Magersucht – lass dich nicht auffressen von der Sucht
Bulimie – das Leben kotzt dich an
Wie entledige ich mich meines Vaters
Nichtraucher forever
Mein Kind spricht nicht mehr mit mir – was tun?
Ratgeber für Single Moms
Handbuch für gestresste Manager
Traumjob Lehrer – Albtraum Schüler
Statt Pillen nur mehr Tic Tacs schlucken
Ja, auch diese Liste war endlos, und das Traurigste war der Grund, aus dem ich mir die Bücher gekauft hatte:
Ich wollte mir diese Probleme aufhalsen. Ich hasste meine eigenen Probleme, also lag die Idee nahe, mir neue zuzulegen. Ich hatte das Nichtraucherbuch gelesen und dabei meine ersten und einzigen Zigaretten geraucht. Ich hatte das Magersuchtbuch verschlungen und dabei eine Fastenkur probiert. Und beim Pillenbuch hatte ich statt Tic Tacs Baldriankügelchen geschluckt, und mir ausgemalt, wie es auf einer Entziehungskur wäre.
So, aber das alles waren Geschichten von gestern und vorgestern und vorvorgestern. Ab jetzt würde ich das Leben einfach angehen . Einfach leben.
Ich seufzte. Das bedeutete vor allem eines: Ich musste die Sache mit Mama regeln.
Ich setzte mich mit Zettel und Stift aufs Sofa und machte eine To-do -Liste. Das erste Mal in meinem Leben. Und das, obwohl ich schon vor zwölf Jahren ein Buch dazu gelesen hatte: To do: Schreiben Sie es auf, dann tun Sie es auch!
Ich schrieb:
Fahre Mama nie wieder am Sonntag auf den Kahlenberg
Lass dich nie wieder von ihr ausspionieren
Grenz dich ab (evtl. Wegziehen?)
Lass dich nie mehr von anderen runtermachen (Tissi, Be-De)
Werde ruhiger, lerne Dinge zu akzeptieren – wenn der Pirat dich nicht will, dann musst du das
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