Aschenputtel: Thriller (German Edition)
tanzten Sonnenstrahlen. Alex verfolgte sie mit dem Blick und sah dann wieder zu Aron hin.
» Nein«, sagte er.
Aron zuckte zusammen.
» Nein?«
» Nein«, sagte Alex. » Der Junge verlässt die Wohnung nicht.«
» Dann stirbt er«, antwortete Aron gelassen.
» Das tut er auch, wenn er mit Ihnen geht«, gab Alex mit ebenso ruhiger Stimme zurück. » Deshalb können wir nicht zulassen, dass Sie ihn mitnehmen.«
» Warum sollte ich ihn töten? Ich sagte doch, dass ich ihn gegen freies Geleit tauschen will.«
» Und ich sagte, okay«, erwiderte Alex. » Aber in dem Fall geschieht der Tausch hier. Sie geben mir den Jungen, und dann verlassen wir die Wohnung.«
Erst lachte Aron, dann stand er so abrupt vom Küchenstuhl auf, dass Alex unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. Das Einsatzkommando rückte im Flur vor, hielt inne, wartete ab.
Ein absurdes Gefühl der Sicherheit bemächtigte sich Alex’ Körper, als er die Bewegungsenergie der Einsatzleute hinter sich spürte. Als würde deren Gegenwart die Situation in irgendeiner Weise verändern.
» Habe ich euch nicht gezeigt, wie ich arbeite?«, fragte Aron mit fester Stimme. » Habe ich euch nicht gezeigt, mit welcher Präzision ich vorgehe?«
Er war laut geworden, und in Alex wuchs die Sorge. Für die Sicherheit aller Beteiligten war es entscheidend, dass die Situation nicht eskalierte.
» Wir haben Ihre Art zu arbeiten durchaus registriert«, sagte er langsam. » Und wir sind beeindruckt.«
» Schmeicheln Sie mir nicht«, zischte Aron.
Aber es funktionierte trotzdem.
Er setzte sich wieder hin. Das Kind war schwer und seine Haut glitschig von Benzin. Alex konnte sehen, wie ein kleines Rinnsal unter der Nase des Jungen herunterlief. Aron setzte sich auf, um das Kind besser fassen zu können.
Alex merkte, wie ihm der Kopf von dem Benzingeruch schwer wurde. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, wurde aber von Aron unterbrochen.
» Das Kind und ich verlassen die Wohnung gemeinsam, oder es gibt keinen Tausch.«
» Darüber können wir verhandeln«, sagte Alex und ging in die Hocke. » Wir wissen schließlich beide genau, was wir erreichen wollen: Ich will den Jungen, und Sie wollen Ihre Freiheit. Darüber müssten wir uns doch eigentlich einig werden können, oder nicht?«
» Ja, in der Tat«, antwortete Aron ruhig.
Einen Moment lang war es still. Eine Wolke schob sich vor die Sonne, und die Wohnung verdunkelte sich.
» Aber der Junge darf die Wohnung nicht verlassen?«, fragte Aron dann.
Alex schüttelte den Kopf.
» Nein, das darf er nicht.«
Er sah sich um. Es gab keinen anderen Weg aus der Küche als durch die Tür, in der er kauerte.
Plötzlich ergriff ein Gefühl der Unruhe von Alex Besitz. Warum hatte Aron sich nicht mit dem Jungen ins Wohnzimmer gesetzt? Da gab es zumindest eine Balkontür, durch die er hätte fliehen können. Warum hatte er sich in einer Ecke verschanzt?
Aron antwortete auf die unausgesprochene Frage.
» Es ist also, wie ich es mir schon gedacht hatte.«
Er lächelte.
» Ihr hattet niemals vor, mich aus der Wohnung gehen zu lassen.«
Noch ehe Alex antworten konnte, flammte das Feuerzeug auf, und im nächsten Moment brannte die Küche.
Teil III
Langsame Erholung
Ende September
Ohne dass es je richtig Sommer gewesen wäre, wurde es Herbst. Da erst hörte es auf zu regnen. Der Himmel über dem ganzen Land war klar und wolkenlos, die Abende wurden langsam kühler, und die Nächte begannen immer früher.
In der dritten Septemberwoche kam Alex wieder ins Büro. Er stand auf der Schwelle zu seinem Zimmer und lächelte. Fühlte sich gut an, wieder hier zu sein.
Im Personalraum feierten sie ihn mit Torte und Kaffee. Der Chef hielt eine kurze Rede, Alex machte eine kleine Verbeugung und dankte ihnen allen, nahm Blumen entgegen und bedankte sich noch einmal.
Als er allein in seinem Büro saß, verdrückte er ein paar Tränchen. Es fühlte sich einfach so wahnsinnig gut an, wieder zurück zu sein. Seine Hände seien viel besser geheilt, als sie erwarten konnten, hatten die Ärzte gesagt und ihm versprochen, dass er sie beide bald wieder voll bewegen könnte.
Zum sicher tausendsten Mal betrachtete Alex das Narbengeflecht, das sich über Handrücken und Handinnenflächen zog. Dünne Haut mit brüchigem Muster in verschiedenen Rosaschattierungen.
Alex wunderte sich noch immer, dass er sich nicht im Geringsten daran erinnern konnte, dass es wehgetan hatte. An alles andere erinnerte er sich genau: wie sich die Küche von
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