Aschenputtels letzter Tanz
vorgefallen?«
»Was meinst du?«
»Komm schon, ich bin ja nicht blöd.« Ich lehne mich weiter vor, um ihn ins Visier zu nehmen, und stütze die Ellbogen auf die Tischplatte, während er lächelt und sein Bier im Glas kreist.
»Das ist eine ganz alte Geschichte. Aus der Zeit, in der deine Mutsch noch in Mahnburg gelebt hat.«
»Du warst damals auch schon dort?«
»Klar, ich bin da aufgewachsen. Wir sind zusammen auf die Schule gegangen.«
Ich wedle mit meinem Zeigefinger vor seinem Gesicht herum. »Ich wusste es! Ihr wart schon mal zusammen, nicht wahr?«
Er nickt.
»Was ist passiert? Hast du sie wegen einer anderen sitzen lassen?«
»Nein. Ich habe nur beschlossen, dass ich rausmuss, die Welt sehen und so, bevor ich mich in Mahnburg niederlasse.« Er zuckt mit den Schultern und nimmt noch einen Schluck Bier. »Susan wollte auch mitkommen.«
»Aber?«
»Ich habe Nein gesagt.«
»Was?«
»Ja, sie war damals minderjährig und ist noch zur Schule gegangen, den Ärger wollte ich ihr und mir ersparen.« Sein Lächeln wird reumütig. »Das hat sie mir nie verziehen, damals hat sie wohl gedacht, ich habe sie irgendwie im Stich gelassen. Es hat sich herausgestellt, dass deine Ma nicht warten wollte. Einen Monat, nachdem ich weg gewesen bin, ist sie aus Mahnburg abgehauen. Allein. Ich hab sie erst wiedergesehen, nachdem ich wieder in den Ort gezogen bin. Vor vier Jahren, und damals hat sie mir die Tür vor der Nase zugeschlagen, als ich sie sehen wollte.«
»Das habe ich gar nicht mitbekommen.«
»Du warst wahrscheinlich gerade unterwegs mit Elsa.«
Ich stütze das Kinn in die Hand und mustere ihn aufmerksam. »Und jetzt?«
»Was jetzt?«
»Na, wollt ihr wieder …«
Da wird er tatsächlich verlegen und sieht zur Seite. »Keine Ahnung, das hängt ja auch von deiner Mutter ab.«
»Aber du würdest schon wollen?«
»Nimmst du mich ins Kreuzverhör?«
»Klar. Ich muss doch rausfinden, welche Absichten du mit ihr hast.«
»Sollte das nicht umgekehrt sein, ich meine, sollte deine Mutter nicht deine Verehrer überprüfen?«
Ich schnaube. »Welche Verehrer? Außerdem machen Mutsch und ich vieles anders als andere, das war schon immer so. Sie hat selbst zugegeben, dass ich die erwachsenere von uns beiden bin.«
In dem Moment kommt Mutsch wieder zur Tür herein. Sie bleibt stehen, betrachtet uns einen Moment misstrauisch und fragt mich dann: »Erzählst du schon wieder Märchen?«
»Nur die Wahrheit.«
»Wer’s glaubt.« Mit einem kleinen Lächeln stellt sie die Schüssel in die Spüle und lässt Abwaschwasser ein. Während wir ihr das Geschirr vom Tisch reichen, bemerke ich, wie Billy sie immer wieder verstohlen beobachtet. Doch sie ignoriert stur die Blicke und spült einen Teller nach dem anderen ab.
Kopfschüttelnd schleiche ich mich in mein Zimmer, aber als ich noch einmal über die Schulter schaue, hat Billy Mutsch gerade an der Hüfte gepackt und küsst sie, während sie die Arme in die Luft hält, an denen der Schaum runterläuft.
»Wird auch Zeit«, murmle ich und schließe die Tür zu meinem Zimmer.
Auf dem Nachtschrank liegt das Telefon, das bei uns zum Glück nicht nach Zwiebeln riecht. Ich setze mich im Schneidersitz aufs Bett und schaue für einen Augenblick lang auf das leere Display, während Tennessee und Edgar mit einer alten Gummiente schmusen, die ich ihnen neulich mitgebracht habe.
Eigentlich wollte ich Tobi genügend Zeit lassen, damit seine Familie in Ruhe mit all den Ereignissen umgehen kann, aber jetzt ist meine Sehnsucht zu groß. Ich möchte gern seine Stimme hören und ihn fragen, wie es ihm geht. Und vielleicht habe ich dann demnächst auch endlich mal ein bisschen mehr zum Thema Jungs zu sagen als bisher.
Nachbemerkung
D em Moor in dieser Geschichte liegt eine Landschaft wie die Hochmoore der Diepholzer Moorniederung zugrunde. Allerdings habe ich mir Freiheiten in der Beschreibung genommen. Moore sind eine faszinierende, aber natürlich keine ganz ungefährliche Sache, trotzdem sollte jeder, der die Gelegenheit dazu bekommt, einmal mit einem erfahrenen Führer eine Wanderung durch das Moor machen. Es gibt eine Menge zu entdecken, und vielleicht hört der eine oder andere sogar das Flüstern der verlorenen Seelen .
Ein riesiges Dankeschön geht an dieser Stelle an die treue Runde Erstleser: Mirjam Becker, Boris Koch, Anna Kuschnarowa, Sandra Pinkert, Solveig Tenckhoff, Annette Wolf und Sylvia Weise (meine Mutter, die zum Glück stets mehr mit Harpers Mutter gemeinsam
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