Aschenputtels letzter Tanz
nicht mehr, sie hat immer geglaubt, sie tut alles nur zu Elsas Bestem. Es hat sie erschüttert, dass Elsa David decken wollte. Da ist so viel kaputtgegangen über die Jahre.« Traurig schüttelt sie den Kopf, und ich greife über dem Tisch nach ihrer Hand. »Elsa ist erst mal zur Kur gefahren, aber wenn sie wieder zurück ist, müssen sie das alles aufarbeiten, das wird für niemanden einfach. Auch nicht für uns. Ich mache mir immer noch Vorwürfe, dass ich nicht …«
»Schon gut, Mutsch«, sage ich, »den Schuh müssen wir uns alle anziehen.«
»Es ist nicht eure Schuld.« Billy lehnt sich zurück und lässt den Blick nachdenklich durch unser Wohnzimmer schweifen, in dem keine freie Wandfläche mehr zu sehen ist, weil überall Bücherregale angebracht sind. »Manchmal passieren die schlimmsten Dinge bei den besten Absichten.«
Eine Weile sitzen wir alle grübelnd am Tisch, bis Mutsch einen spitzen Schrei ausstößt, weil ihr Edgar über den Fuß gerannt ist.
»Harper! Ich habe dir gesagt, du sollst sie in den Käfig stecken.«
Entschuldigend hebe ich die Hände, und sie wirft mirfinstere Blicke zu. Doch bevor es zu einer längeren Diskussion kommen kann, sagt Billy: »Sie haben übrigens herausgefunden, wer mein Schaf getötet hat. Es war Mark Hollstein. Der Junge ist bekannt. Prügelt sich gern, ein Unruhestifter, wie er im Buche steht. Erst vor Kurzem hat er sich so stark mit einem Polizisten angelegt, dass er genäht werden musste und wegen dieses Vergehens jetzt Sozialstunden ableisten muss.«
»Er gehört der Clique vom Scherbenberg an«, füge ich mein spärliches Wissen hinzu.
»Einer seiner Kumpel hat sich bei seiner Mutter verplappert, die dann zur Polizei gegangen ist. Die Jungs haben sich an dem Abend wohl ziemlich hochgeschaukelt und dann hat eins zum anderen geführt. Sie haben sich einen Spaß daraus gemacht, nachts im Bruchwald entlangzugehen und mit irgendwelchen Lichtern vorbeikommende Passanten zu erschrecken. Kaum hat der Erste in der Stadt von Moorgeistern geredet, hat sie der Übermut gepackt. Dumme Jungenstreiche eben.«
Mutsch wedelt mit der Gabel vor Billys Gesicht herum. »Das ist doch kein Jungenstreich mehr.«
»Ich bin jedenfalls froh, dass diese ganze Sache endlich aufgeklärt ist. Jetzt kann sich die Stadt wieder ein bisschen beruhigen.«
»Ja, aber es wird lange dauern, bis die Leute diesen Schock überwunden haben. Wenn ein Kind sich gezwungen sieht, zu solchen Mitteln zu greifen, dann …«
»Was wird jetzt mit David passieren?«, frage ich leise.
»Wahrscheinlich werden Davids Verteidiger versuchen, mildernde Umstände für ihn geltend zu machen«, erklärt Billy. »Außerdem wird auf ihn noch das Jugendstrafrecht angewandt, weil er erst sechzehn ist. Aber wenn ihr mich fragt, ist er gestraft genug. Die Familie ist aus Mahnburg weggezogen, sein Arm funktioniert nie wieder richtig und es wird ihn ein Leben lang verfolgen.«
»Das ist doch nur fair, Elsa muss schließlich auch ein Leben lang damit zurechtkommen«, entgegne ich hitzig, aber Billy legt nur den Kopf schief.
»Da hast du recht, natürlich kann man auch nicht immer die Umstände für alles verantwortlich machen, immerhin gibt es genügend Menschen, die es nicht leicht haben und trotzdem nicht zu Straftätern werden …«
Seit dieser letzten Nacht im Moor habe ich nur einmal mit Elsa telefoniert. Es war ein schwieriges Gespräch, sie hat sich entschuldigt, dass ich in die ganze Sache verwickelt wurde und David sich mir gegenüber so verhalten hat. Und ich habe ihr gesagt, wie sehr es mir leidtut, dass ich ihr nicht genügend zugehört habe. Am Ende haben wir beide erst eine Runde geheult und dann drüber gelacht, und Elsa hat mich einen Rabauken genannt.
Aber ich kann deutlich den Riss spüren, der zwischen uns entstanden ist. Wir müssen erst wieder lernen, miteinander zu reden, und ich bin mir nicht sicher, wie lange es dauern wird.
Grübelnd kaue ich auf einer Mandarine herum. Manchmal ist es schwer, den richtigen Weg zu finden, von dem alle immer reden. Es ist ein bisschen so, als würde man im Dunkeln laufen – oder durchs Moor. Auf wackligem Untergrund und mit der Gefahr im Nacken, jeden Moment zu versinken.
Nach dem Abendessen verlässt Mutsch kurz die Wohnung, um den Biomüll runter in den Hof zu bringen, und so bleiben mir vielleicht drei Minuten, um Billy endlich mal die eine Frage zu stellen, die mir schon so lange durch Kopf geht.
»Sag mal, was ist eigentlich zwischen dir und Mutsch
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