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Aschenputtels letzter Tanz

Aschenputtels letzter Tanz

Titel: Aschenputtels letzter Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Weise
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nicht auch zugefügt hat.
    »Letztes Jahr beim Bürgermeistertreffen habt ihr euch kennengelernt«, spreche ich leise aus, was sich nun endlich wie eine Perlenkette vor mir aufreiht, Wahrheit um Wahrheit. »Da ist euch aufgefallen, dass ihr alle dasselbe Problem habt. Dass ihr nicht frei seid … Du hast gesagt, man kann den Leuten alles beibringen … Auch, wie man Leute aufschlitzt?«
    »Was glaubst du, was man in der Bibliothek alles so findet. Oder im Netz. Außerdem war ich in den Monaten so oft beim Arzt, dass es nicht schwer war … du weißt schon.« Er macht eine Handbewegung.
    »An Chloroform und die Skalpelle heranzukommen«, ergänze ich verächtlich. »Du tust die ganze Zeit so, als würdest du ihnen helfen wollen, aber langsam habe ich den Verdacht, dass du nur jemanden suchst, der dasselbe durchmacht wie du«, sage ich zu David, die Wut macht mich mutig. »Hast du sie hierher bestellt? Warum? Damit du sie noch einmal darauf einschwören kannst, der Polizei gegenüber nichts zu sagen? Weil es heißt: Ihr gegen die Welt? Die Märchenzitate waren deine Botschaften an Elsa und Nina, und du wusstest, sie würden schweigen, weil sie Mitleid mit dir hatten und dich ja so gut verstehen konnten. Du hast ihr Vertrauen ausgenutzt.«
    »Das ist nicht wahr.«
    »Doch, ist es.« Ich deute hinter ihn auf Elsa und Nina. »Du trennst sie von ihrer Familie, indem du ihnen einredest, sie sollen uns nichts erzählen.«
    Voller Abscheu fährt er mich an: »Das ist genau das, was wir zu viel hatten: Familie. Wir brauchen nicht noch mehr Leute, die uns sagen, was wir zu tun haben.«
    Jetzt ist es an mir, wild den Kopf zu schütteln. »Das ist es nicht, was Familie bedeutet. Elsa, du weißt das. Komm doch zur Besinnung.«
    »Sie hat dir nichts mehr zu sagen«, antwortet David für sie, und der Abstand zwischen uns ist so gering geworden, dass ich in seinen Augen plötzlich ganz genau sehen kann, was er als Nächstes tun wird – noch bevor er sich bewegt.
    Da ist das Monster, in das er sich verwandelt hat.
    Ich drehe mich um und stürze davon, er mir hinterher. Ich weiß, dass ich nicht stehen bleiben darf. Er darf mich nicht kriegen.
    »Harper!«, höre ich hinter uns Elsas Stimme, und auch Nina schreit: »Was tust du, David! Lass sie in Ruhe!«, aber sie können uns nicht einholen.
    Wie ein Tier, das vor einem Jäger flüchtet, renne ich weiter, so schnell ich kann, denn ich weiß, dass es nicht mehr David ist, der mir auf den Fersen ist.
    Ich kann nicht mehr unterscheiden, ob es sein Atem oder der Wind ist, den ich im Nacken spüre. Immer weiter renne ich, den Weg zurück, den ich gekommen bin. Der einzige Vorteil, den ich habe, ist mein Gewicht, denn ich sinke nicht so tief ein wie David. Er muss sich mehr anstrengen, auf dem wackligen Untergrund zu rennen, doch das Moor macht es auch mir schwierig.Unser Rennen ist eher ein Springen, von Scholle zu Scholle.
    Mein Herz rast und ein stechender Schmerz macht sich in der Seite und den Oberschenkeln breit.
    Weiter, Harper, du darfst nicht stehen bleiben, sonst werden dich die Seelen der Versunkenen mit sich in die Tiefe ziehen.
    Ich kann nicht darauf achten, wohin ich trete, es bleibt keine Zeit, um abzuschätzen, ob der Boden mich trägt. Zweige peitschen mir ins Gesicht, ein paar Mal sackt die Sohle unter mir ins feuchte Gras und ich versuche zu fliegen.
    Weiter .
    Aber ich kann nicht mehr atmen.
    Plötzlich höre ich hinter mir einen Schrei, doch ich bleibe nicht stehen.
    Dann meinen Namen. Voller Angst.
    Ich riskiere einen Blick zurück und komme schwankend und zitternd zum Stehen.
    David ist eingebrochen. Mit dem Oberkörper hängt er halb über dem Rand des Lochs, aber seine Hände finden keinen Halt, weil der Torf in die entstandene Kuhle bricht. An seinen Bewegungen erkenne ich, dass er mit den Beinen rudert, viel zu hektisch, er macht es nur schlimmer.
    Wieder ruft er meinen Namen und ich komme zögerlich näher. Aber das ist kein Trick, er ist wirklich im Moor eingebrochen. Sein Gesicht sieht panisch zu mir auf, als ich außer Reichweite vor ihm stehen bleibe.
    »Du musst mir helfen, Harper!«
    »Warum sollte ich?« Ich halte mir die stechende Seite und hole schnappend nach Luft. Mein Rücken krümmt sich unter meiner Erschöpfung.
    »Du kannst mich doch nicht hier ertrinken lassen … O Gott, ich spüre meine Beine nicht mehr. Harper!«
    Sieben Herzschläge braucht es, bis ich mir die Jacke ausziehe und sie ihm hinhalte, denn ich will ihn nicht sterben sehen.

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