Aschenwelt
immergleichen zerstörten Gebäuden vorbei, an zerrissenen Leitungen und Trümmerhaufen auf der StraÃe. Alles von grauer Asche bedeckt. Dann erregt etwas meine Aufmerksamkeit. Am Ende der StraÃe sehe ich ein schwaches Licht in der Dämmerung. Es ist weit weg, aber deutlich zu sehen, und es zieht mich unwiderstehlich an. Ich gehe etwas schneller, bis ich schlieÃlich renne.
Mit jedem Schritt wird das Licht schwächer, dafür beginnt es zu flattern und dann erkenne ich, dass dort ein Mensch an einem metallenen Kreuzgestänge hängt. Er ist in ein weiÃes Tuch gehüllt. Arme und Beine sind mit abgerissenen Stromkabeln an das Gestänge gebunden. Der Kopf hängt schlaff herab, so wie auch die blonden Haare. Ich kann das Gesicht nicht sehen, aber ich weià auch so, wer da hängt. Ich schreie mein Entsetzen und meine Angst in die Welt hinaus und stürze zu Anne.
Ich hebe ihren Kopf. Ihr Gesicht ist kalkweiÃ, ihre Lippen blau, ihre Augen geschlossen. Bitte, lieber Gott, lass sie nicht tot sein. Ich schaffe es, sie von diesem kalten Metallkreuzgestänge abzubinden und vor mich auf den Boden zu legen. Da nehme ich aus den Augenwinkeln heraus einzelne Schatten wahr, die sich uns nähern. Es sind kleine Rauchwolken. Sie kommen. Sie walzen über den Asphalt und ein schrilles Flüstern erfüllt die Luft. Hektisch versuche ich, Anne aufzuwecken. Vielleicht schläft sie nur und ist nicht tot. Aber sie rührt sich nicht. Mir treten Tränen in die Augen. Wiederbelebung, schieÃt mir durch den träumenden Kopf. Ich beuge mich zu ihrem Gesicht hinab, presse meine Lippen auf ihre und erschrecke, wie kalt sie sind. Ich blase und presse ein paar Mal mit einer Hand auf ihre Brust, blase wieder, presse wieder. Und die Rauchwölkchen vermehren sich und kommen immer näher. Das Flüstern wird lauter, es wächst zu einem scharfen Rauschen. Ich blase und presse, so lange, bis Anne endlich ihre Augen aufschlägt und ich erleichtert durchatme.
Sie blickt mich an und sagt dann mit heiserer Stimme und unter groÃer Anstrengung: »Du â musst â mich â musst mich â gehen lassen.«
»Niemals!«, schreie ich. »Du bleibst bei mir!«
Ich schiebe meinen gesunden Arm unter ihren Rücken und ihren Kopf.
»Wir stehen jetzt auf.« Ich nehme alle meine Kräfte zusammen und reiÃe Anne mit mir auf die Beine. Die Rauchwolken sind nun fast bei uns und hüllen uns ein. Von allen Seiten flüstert es. Töten. Töten. Töten. Mir wird schlecht. Fieberhaft suche ich nach einem Ausweg, finde aber keinen.
Und dann wachte ich endlich auf.
Als erstes drehte ich mich zu Anne um, die neben mir lag. Ich hatte die verrückte Angst, sie so bleich und kalt vorzufinden wie in meinem Traum. Aber sie atmete, ihre Wangen waren rosig, und sie hatte die Augen geöffnet und schaute mich an.
»Du bist wach«, flüsterte ich und ein tonnenschwerer Felsbrocken fiel von mir ab.
Anne nickte.
»Und nicht tot.«
Anne schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht blieb starr.
»Was ist mit dir?« Ihr Blick machte mir Angst.
»Ich hab dich gesehen«, sagte sie.
»Wo?«
»Im Traum.«
»Du hast von mir geträumt?« Ich war aufgeregt und wollte ihr erzählen, dass auch ich von ihr geträumt hatte, doch da redete sie schon weiter.
»Ich hing«, sagte sie. »An etwas kaltem. Ãberall war Nebel und Rauch.«
Ich schaute sie mit stockendem Atem an.
»Dann kamst du«, fuhr Anne fort. »Ich wollte sterben, aber du hast mich nicht gelassen.«
Meine Kehle war staubtrocken und ich musste ein paar Mal schlucken, bevor ich etwas sagen konnte. »Ich«, ich räusperte mich, »ich habe genau das gleiche geträumt.«
»Lag das anner Tüte?«, fragte Anne. »Ich mein â¦Â«
»Vielleicht.«
»Wir sehen das gleiche, wenn wir bekifft sind«, sagte Anne. »Diese Aschenwelt.«
»Aber wir waren noch nie in ein und demselben Traum zusammen!«, stellte ich fest. »Das ist gruselig!«
»Ja«, stimmte Anne zu, »gruselig.« Ihre Stimme zitterte.
»Gehtâs dir gut?«, fragte ich.
Anne nickte kaum merklich, aber in ihren Augen stand Angst wie vereiste Berge im Winter.
Später schälte ich mich aus der Decke, weil ich dringend aufs Klo musste. Als ich fertig war und wieder die Tür der Toilette öffnete, stand Anne vor mir, mit zusammengepressten
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