Aschenwelt
mein Pferd, das ich viele Jahre lang gepflegt hatte, bis es gestorben war. Und natürlich meine Oma. Aber nichts von alledem lieà mein Herz so schlagen wie allein ein einzelner Gedanke an ein winziges Detail an Anne, und sei es nur eine Locke ihres Haars, ihre Augen, ihre Nase, ihre Lippen, einfach alles. Oft wunderte ich mich, dass mein Herz es immer wieder aufs Neue unbeschadet überstand, wenn ich Anne gegenübertrat oder ich sie in meinem Bett hatte. Ich konnte es kaum erwarten, sie wieder zu sehen, sie in meinen Armen zu halten, sie zu riechen.
Diesen Gedanken hing ich in der Bahn nach, auf dem Weg zu meinem Minipark zwischen den StraÃen, um dort Anne zu treffen, Gras zu rauchen, auch wenn uns auf der anderen Seite die Aschenwelt erwartete. Doch dann geschah etwas Unvorhergesehenes. Etwas, das nicht nur meinen Plan durchkreuzte, sondern noch mehr Verwirrung in meinem Leben stiftete.
Ich wusste nicht, was genau passiert war. Ganz plötzlich befinde ich mich in der verbrannten, zerstörten Welt, ohne dass ich auch nur einen Joint angeschaut hätte. Ich erinnere mich an einen Knall, Rauch steigt auf, die Waggons der Bahn werden an den Seiten aufgerissen, die Dächer fliegen weg, einige der Wagen werden zusammengefaltet und gestaucht, als wären sie aus Papier. Körper zerreiÃen vor meinen Augen, zerplatzen, als wären sie Luftballons, Blut spritzt und es stinkt nach Fäkalien. Ich werde hin und hergeschleudert, stoÃe mir meinen Kopf an einer Metallstange und knalle mit anderen Personen zusammen. Ich verletze mich aber nicht ernsthaft und kann mich wieder an der Stange nach oben ziehen. Dann kommt der Zug zum Stehen und ich steige aus, zusammen mit hunderten von Lumpengestalten. Asche weht mir ins Gesicht. Ich muss husten.
Ich schaue mich um. Vor mir liegt die Aschenwelt in ihrer ganzen grausamen Schönheit. Grau, verbrannt, stinkend, wie immer. Nur dass ich dieses Mal in ihr gelandet bin, ohne vorher etwas geraucht zu haben.
Das schrille Flüstern der Teufel erfüllt die ruÃige Luft. Es sind Tausende. Sie sind klein, aber sie sind schnell. Glänzende schwarze Schuppenkörper, zu groÃe Köpfe, viel zu groÃe Zähne. Sie stürzen sich auf die Lumpengestalten, beiÃen sich in sie fest, schlitzen sie auf und trinken ihr Blut, das in Fontänen aus ihnen herausschieÃt. Ich kann ihnen nicht helfen. Bin starr, gelähmt, hilflos. Der Gestank raubt mir den Atem, und der Lärm bohrt sich in meinen Kopf. Ich renne und schreie, und mir ist schlecht vor Angst.
Das nächste, woran ich mich erinnerte, war, dass wieder Sommertag war und ich auf den Stufen vor der Praxis Dr. Uschasniks lag. Wie ich dahin gelangt war, wusste ich nicht.
Dr. Uschasnik schaute zur Tür heraus, bemerkte meinen Zustand und bat mich herein, gab mir zu trinken und schickte einen Patienten nach Hause, der in seinem Wartezimmer saÃ. »Notfall«, sagte er, worauf der Patient mit verständnisvollem Nicken ging.
Und ich saà Uschasnik gegenüber und wusste nicht, was geschehen, wie ich hierhergekommen war und was ich nun sagen sollte.
Uschasnik beobachtete mich eine Zeitlang, dann fragte er, ob ich Lust auf eine Ãbung hätte.
»Für was?«, wollte ich wissen.
»Was auch immer geschehen ist â¦Â«
»Ich weià es nicht«, unterbrach ich ihn.
»Das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass du wieder zu dir kommst, wieder klar denken kannst. Dafür ist diese Ãbung.«
»Gut.«
»Ja?«
»Fangen Sie an.«
»Also. Beginnen wir mit Fingerschnippen. Ist das in Ordnung?«
Ich nickte.
»Abwechselnd links und rechts. Erst langsam, dann immer schneller. Sagen wir, einundzwanzig Mal.«
Ich tat wie geheiÃen, auch wenn ich mich fragte, ob das wirklich das brachte, was er behauptete.
Als nächstes folgte eine Ãbung mit Musik. Uschasnik stellte mir zwei Glockenspiele hin. Eins für die linke und eins für die rechte Hand. Und tatsächlich spürte ich, wie ich mich allmählich beruhigte und wieder ich selbst wurde. Ich fasste mich, meine Verwirrung, meine Angst verebbte mehr und mehr. Die alte Jo war bald wieder da.
»Besser?«
»Besser.«
Uschasnik lächelte. Er war augenscheinlich zufrieden mit dem Erfolg seiner Ãbungen. Sein Lächeln verschwand geschlagene fünf Minuten nicht mehr aus seinem Gesicht, während denen er mich unentwegt anschaute. Ich hielt seinem Blick so gut es ging
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