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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
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Es ging ganz leicht, ohne zu klemmen oder zu quietschen. Ich hielt sie so und atmete einmal kurz durch. Dann öffnete ich die beiden Hälften der Tür. Der Schrank war leer, bis auf meine Kiste. Ich war erleichtert. Die Kiste war genau dort, wo ich sie hingestellt hatte.
    Ich öffnete die Klappe und mein Herz schlug etwas schneller. Ich freute mich auf das Wiedersehen mit meinem alten Bekannten.
    Die Kiste war vollgestopft mit Spielzeug, das früher durch meine Hände ging und nun ein elendes Dasein im Dunkel fristete. Das meiste hatte es nicht anders verdient, so nutzlos und hässlich wie es war. Was hatte mich nur dazu getrieben, unzählige Tage meines Lebens mit Barbie und Ken zu verbringen! Ich nahm eine nackte Barbiepuppe heraus und betrachtete sie. Interessant. Ihr fehlte ein Bein und ein Arm. Außerdem war ihr halbes Gesicht verkohlt. Ich war wohl auf irgendjemanden wütend gewesen. Ich warf die Puppe achtlos in den dunklen Schrank. Und suchte weiter nach meinem Stoffhasen. Meinem liebsten Spielzeug über viele Jahre hinweg. Mein Gefährte, mein Held. Ich erinnerte mich genau an sein schmutziggraues Fell, sein angebissenes Ohr (Monsterangriff in einem dunklen Wald), an sein heraushängendes Glasauge (Krakenüberfall auf hoher See) und seine klaffende Bauchwunde, woraus sein Füllmaterial quoll. Ich erinnerte mich an alle Abenteuer, die wir hier oben auf dem Dachboden, in meinem Zimmer oder mitten in der Stadt erlebten. Mein Stoffhase war immer dabei, und in meiner Fantasie war er quicklebendig.
    Ich wühlte weiter in der Kiste. Immer noch keine Spur von ihm. Ich pfefferte ein dämliches rosa Quietschebärchen in die Ecke, hinterher flog ein Set SpielzeugHaareMakeupBlödsinn, ein Feuerwehrauto, eine Spieluhr, diverse Puppen in allen Größen und Farben, Stofftiere ohne Ende – doch immer noch kein Stoffhase.
    Ich warf die Sachen immer ungeduldiger aus der Kiste. Dann war sie leer. Und er war nicht dabei. Ich durchwühlte den Berg Stofftiere, der sich neben der Kiste auftürmte. Kein Hase.
    Ich ließ mich auf den Boden sinken und saß eine ganze Weile im Staub und wusste nicht, was ich tun oder denken sollte.
    Ich warf mir vor, dass ich mich nicht um ihn gekümmert hatte, dass ich ihn jahrelang hier oben zwischen all dem Kram habe darben lassen, als wäre er nichts anderes als eine dümmliche BarbiePuppe. Wut kochte in mir hoch, Wut auf mich selbst. Ich sprang auf und trat die Kiste kaputt und warf mein altes Spielzeug quer über den Dachboden. Dann schlug ich eine der Schranktüren zu. Es gab einen lauten Knall, es krachte, und die Scharniere splitterten aus dem Holz. Wo war mein Stoffhase!
    Mutter. Sie hatte ihn auf dem Gewissen. Ich sah sie vor mir, wie sie mit einem Hexengrinsen heimlich meinen Stoffhasen aus der Kiste stahl, um dann Gottweißwas mit ihm anzustellen. Ich rannte die Treppen vom Dachboden hinab und überlegte mir, welche Lieblingsdinge meiner Mutter nun dran glauben mussten. Ich wollte mich rächen, mit einem groß angelegten Feldzug gegen ihr Porzellan und ihre abartig teure Gläsersammlung. Sie war schuld, dass mein Stoffhase nicht mehr da war. Wer sonst. Sie konnte ihn nie leiden. Weil er so schmutzig war, eine Bazillenschleuder, so nannte sie ihn, und weil sein Glasauge heraushing, an dem man sich hätte verschlucken können. Meine Mutter mochte ihn damals nicht wie sie heute Anne hasste. Sie gönnte mir keine Freude und keine Liebe. Ich schrie meinen Hass ins Treppenhaus und riss ein Bild eines meiner Vorfahren von der Wand. Wahllos, egal welcher, sie waren alle das gleiche Ungezieferpack – außer meiner Großmutter. Ohne meine Vorfahren hätte es meine Mutter nie gegeben. Sie war schuld, dass es nun meinen Stoffhasen nicht mehr gab. Und sie war immer schuld, wenn ich unglücklich war oder schlechte Laune hatte. Es reichte ein vorwurfsvoller Blick von ihr, ein dummer Kommentar. Ich hasste sie.
    Ich wollte gerade die Schranktür öffnen und die Gläser darin auf den Boden werfen, als meine Mutter neben mir auftauchte.
    Â»Durst?«, fragte sie. »Dafür haben wir aber …«
    Â»Was tust du denn schon hier!«, schrie ich sie an. »Gibt’s keine reichen Arschlöcher mehr, denen du noch mehr Kohle in ihren fetten Arsch stopfen kannst?«
    Â»Ich wollte wissen, wie es dir geht«, sagte sie.
    Â»Beschissen!«, brüllte ich. »Kotzscheißfuckbeschissen! Verstehst

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