Aschenwelt
stand und verzog keine Miene.
»Find ich gut, deine Haare«, brach er endlich das Schweigen.
»Hatte ich heute Morgen schon.« Ich dachte mir, dass ein Psychotherapeut doch eigentlich aufmerksamer sein sollte.
»Das weià ich«, sagte er. »Denn du hattest sie ja auch gestern morgen bei unserem Termin schon.«
Ich runzelte die Stirn. »Ich war gestern gar nicht bei ihnen. Das war heute â¦Â«
»Nein, das war gestern.«
In meinen Gedanken herrschte Chaos. Verarschte mich dieser Kerl? Ich war mir sicher, dass ich erst heute Morgen bei ihm war.
»Gibt es einen bestimmten Grund, dass du gerade diese Farbe gewählt hast?«
»Nein. Gefällt mir eben.«
»Okay, cool.«
Ich verdrehte die Augen.
»Und diese Sicherheitsnadel?«
»Was ist mit ihr?«
Vierundzwanzig Stunden in der Aschenwelt, ohne mich daran zu erinnern? Mein Gehirn fühlte sich an, als würde es gleich in Flammen aufgehen.
»Selbst gestochen oder durch ein vorhandenes Loch?«
»Selbst gestochen.«
Uschasnik zog eine Grimasse, als fühlte er schlimme Schmerzen.
»Hat nicht weh getan«, behauptete ich.
So lange war ich doch gar nicht in der Aschenwelt!
Ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, was er wirklich zu mir sagte. Aber ich glaube, dass es so etwas Belangloses in der Richtung war.
»Hut ab«, sagte Uschasnik. »Ich hätte damals vor Schmerzen schreien können.«
»Sie?«
»Ja, ich.« Er lächelte. »Ich hatte in meiner Jugend auch eine Sicherheitsnadel im Ohr. Hat sich aber doll entzündet, mein Ohr war so groà wie ein Tennisball, und ich musste sie wieder herausnehmen. Meine Haare waren das einzige, womit ich etwas anstellen konnte.« Er fuhr sich über seine Halbglatze: »WeiÃt du, ich war damals mit sechzehn, siebzehn ein Punk.«
Interessant. Warum erzählt er mir das? Ich kommentierte sein Outing nicht. Ich war ohnehin viel zu sehr damit beschäftigt, über mein Erlebnis und den verlorenen Tag nachzudenken. Und wo war Anne jetzt gerade? Sie muss verrückt werden vor Sorge um mich!
»Ja, lange ists her.« Uschasnik lächelte und machte gleich darauf ein ernstes Gesicht. »Willst du mir erzählen, warum du ohne Termin zu mir gekommen bist? Irgendetwas muss wohl geschehen sein.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte es ihm nicht erzählen. Nichts. Nicht, dass ich Drogen nahm und die andere Welt sehen kann, nichts davon, dass ich nicht wusste, was in den letzten vierundzwanzig Stunden mit mir geschehen war und warum ich die Aschenwelt nun auf einmal auch ohne Drogen sehen konnte.
»Du musst nicht«, sagte Uschasnik. »Dann stelle ich dir eine andere Frage.«
»Tun Sie das.«
»Ist dir eingefallen, was dir in deiner Kindheit am wichtigsten war?«
»Ja«, sagte ich.
»Und? Willst du mir davon erzählen?«
»Darüber gibt es nichts zu erzählen. Es war ein Stoffhase. Aber es gibt ihn nicht mehr, weil meine vertrottelte Mutter ihn weggeworfen hat.«
»Oh, das ist schade.«
Ich konnte nicht sagen, was mich dann dazu brachte, ihm plötzlich die Wahrheit zu sagen. Aber ich tat es. »Es war nicht meine Mutter, die ihn weggeworfen hat.«
»Nicht?«
»Nein. Ich habe ihn verloren, schon vor Jahren.«
»Oh«, sagte Uschasnik. »Das tut mir leid.« Ich meinte, echtes Mitgefühl aus seiner Stimme zu hören. »Wie bist du damals mit dem Verlust klar gekommen?«
»Weià ich nicht mehr.«
»Aber es tut immer noch ein bisschen weh, nicht?«
»Ja«, gab ich zu. »Nicht nur ein bisschen.«
»Ja, so ist das mit Verlusten. Und sei es auch nur ein Stofftier. Hattest du noch andere Verluste zu erleiden? Willst du mir davon erzählen?«
»Meine Oma ist gestorben«, sagte ich. »Und mein Pferd.«
»Und wie ging es dir damit?«
»Ich habe geweint. Viel geweint.«
»Das ist gut. Viele tun das nicht. Und ohne Tränen gibt es keine Trauer. Wie geht es dir heute, wenn du an deine Oma denkst, oder an dein Pferd?«
»Gut«, log ich.
Uschasnik brachte darauf wieder sein Zeitlupennicken zum Einsatz. Mir wurde schwer um mein Herz. Ich war immer noch traurig, dass meine GroÃmutter nicht mehr da war, obwohl sie schon vor über einem Jahr gegangen war, und es ihr jetzt ganz sicher besser ging, jetzt war sie nicht mehr krank. So wie auch mein Pferd. Es hatte sehr gelitten in den letzten Monaten
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