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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
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schwarze, alles verschlingende Tiefe. Vielleicht stürze ich mich einfach hinab.
    Da sehe ich in einiger Entfernung ein Pferd auf der endlosen Ebene stehen. Es sieht aus wie meines. Es ist meines! Ich laufe auf es zu, doch bevor ich es erreichen kann, galoppiert es davon und verschwindet hinter dem Fadenhorizont. Unerreichbar. Ich wende mich in eine andere Richtung und zucke zusammen, als plötzlich meine Großmutter vor mir steht. Sie tanzt, dreht sich um ihre eigene Achse, und sie singt. »Oma«, rufe ich, aber sie reagiert nicht. Ich rufe noch einmal, da dreht sie sich zu mir und winkt mir lächelnd zu. Ich gehe zu ihr, doch mit jedem Schritt entfernt sie sich weiter von mir, bis auch sie schließlich hinter dem Horizont verschwindet. Ich rufe nach ihr, verzweifelt, weinend, aber sie kommt nicht wieder. Stattdessen liegt nun vor mir auf dem Boden mein alter Stoffhase. Er sieht genauso aus wie ich ihn in Erinnerung habe. Mein Herz springt in meiner Brust, als ich mich ihm immer weiter nähere und er nicht verschwindet. Aber als ich mich gerade zu ihm hinunterbücke, um ihn an mich zu nehmen, ertönt ein schrilles Flüstern. Ich fahre herum und sehe die Teufel, die sich mir von allen Seiten nähern. Unaufhaltsam wie ein schwarzer Sandsturm. Ich will meinen Stoffhasen aufheben, doch er ist verschwunden. Nirgends zu sehen. Ich will wegrennen. Doch wohin? Die Teufel sind überall. Ich renne trotzdem. Aber je näher die Teufel kommen, desto bleierner werden meine Beine. Es fällt mir immer schwerer, einen Fuß vor den anderen zu setzen, so sehr ich mich auch anstrenge. Schließlich versagen sie ihren Dienst und bleiben wie festgeklebt einfach stehen. Schwarze Rauchwirbel schießen auf mich zu, schließen sich vor mir zusammen, umkreisen mich und verschwinden, um das freizugeben, was in ihnen ist: die schwarzen, ölig glänzenden Teufelkörper. Mein Herz pocht, ich mache mir in die Hose. Ein Teufel krallt sich in meine Schultern und grinst mich an, nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Er wiegt seinen Kopf hin und her und blickt mir unentwegt in die Augen und schnüffelt dabei wie ein Hund, der eine Fährte aufgenommen hat. Ich versuche panisch, ihn abzuschütteln, als wenn ein Wespenschwarm von mir Besitz ergriffen hätte, um ihre Stacheln alle zugleich in mich zu hauen. Aber seine Krallen schneiden mir so tief ins Fleisch und lassen nicht locker, dass ich mir selbst einige Stücke herausreißen würde.
    Â»Beiß zu!«, schreie ich ihn an. Aber er grinst nur und tut nichts. Nur glotzen und schnüffeln.
    Und dann spricht er. Mit seiner flüsternden, und doch schrillen Stimme.
    Â»Bring sie zu uns.«
    Ich weiß, wen er damit meint, aber ich kann nichts dagegen sagen.
    Â»Bring sie zu uns«, zischt er noch einmal, begleitet von einem anschwellenden Flüstern seiner Kumpels.
    Dann springt er von mir herunter, und er und alle anderen Teufel verschwinden als Rauchwirbel in der Ferne.
    Und ich erwachte wieder.
    Ich saß in meinem Bett und zitterte. Ich war nicht alleine. Ich spürte, dass jemand in meinem Zimmer war. Ich hastete an das Licht an der Seite und schaltete es an. Ich kniff die Augen im blendenden Licht zusammen und erkannte Anne, die auf meinem Bett hockte und mich anlächelte.
    Â»Wo warst du so lange?«, war das erste, was ich herausbrachte.
    Â»Bei meiner Mum, hab ich doch gesagt.«
    Â»Ich hab dich gebraucht!«
    Â»Schlimm?« Anne schaute mich mitfühlend an.
    Ich nickte und kämpfte mit einem Weinkrampf, von dem ich aber nicht wusste, woher er kam. Von meinem Traum oder der Freude darüber, dass Anne wieder da war? Und dann fiel mir ein, was der Teufel eben gesagt hatte: Ich sollte ihnen Anne bringen. Mein Pferd hatten sie schon, meine Oma auch. Und meinen Stoffhasen. Und nun wollten sie mir auch noch das letzte nehmen, das ich in meinem Leben geliebt hatte. Sie hatten Anne schon zwei Mal in ihrer Gewalt, wie Jesus an dieses Metallgestänge gehängt. Beidemale hatte ich sie retten können. Zu einem dritten wollte ich es nicht kommen lassen. Niemals!
    Â»Ich will hier raus.« Ich flüsterte, weil ich Angst hatte, dass jemand mithörte, auf welche Weise auch immer.
    Â»Wie meinstn das?«
    Â»Ich muss hier weg. Ich schaffs einfach nicht. Wenn ich noch einen Tag länger hier bleibe, drehe ich durch. Und dann gäbe es wirklich einen Grund, dass ich in diesem Irrenhaus

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