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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
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aufzunehmen. Also kein Facebook, keine Mails, höchstens mit meiner Mutter telefonieren. Ich behauptete, nur etwas Musik hören zu wollen. Er vertraute mir. Dumm. Sobald er draußen war, ließ ich mein Telefon Strom trinken, schaltete es ein und checkte als erstes mein Facebookprofil. Nur Blödsinn. Blabla, voll süß, Herzchen, alles voller Herzchen, hab dich lieb, voll doll lieb, von der zu der und zurück und hin und her und kreuz und quer. Mir wurde kotzübel. Für mich interessierte sich offenbar niemand. Annes Profil war seit langem verwaist. Vielleicht sollte ich ihr erklären, dass man sich sein Passwort zusenden lassen konnte, wenn man es vergessen hatte? Jemand hatte auf Annes Pinnwand »Du fehlst!« geschrieben. Ich runzelte die Stirn. Es war ein Mädchen aus meiner Klasse, die das geschrieben hatte. Bei mir stand sowas nicht, obwohl doch auch ich, wie Anne, schon Wochen nicht mehr in der Schule gewesen war. – Mails checken. Werbung, Werbung, Werbung, Blödsinn, Werbung, Blödsinn. Oh Gott. Die Welt war so was von am Arsch. klick, klick, zu meiner Musik. Endlich etwas Gescheites. Stöpsel ins Ohr, Lautstärke voll rauf, das härteste rein, was ich hatte. Geil. Es dröhnte in meinen Ohren. Der Sänger grölte aus seinen tiefsten Eingeweiden heraus. Ich bekam eine Gänsehaut und mein Gemüt hellte sich augenblicklich auf. Ich hörte Musik und glotzte gleichzeitig auf die stummen Bilder im Fernsehen. Stundenlang. Dann kam mir in den Sinn, dass ich ein ganz spezielles Lied brauchte. Ein Oldie, wenn man so wollte. Ich suchte in der Titelliste. Und ich hatte es drauf. Natürlich. Start. Noch lauter drehen. Zurücklehnen und mitsingen.
    Welcome to where time stands still.
    Genau das richtige Lied und der richtige Text.
    Dream the same thing every night.
    â€¦
    Herrlich. Ich war James Hetfield, und James Hetfield war ich.
    Ich sang mit, so laut ich konnte. Gleich kam der Refrain. Sie sollten es alle hören.
    They keep me locked up in this cage
    can’t they see that why my brain says rage.
    Luft holen und
    Sanatorium!
    Leave me be!
    Sanatorium!
    Just leave me alone!
    Ich sang jede Zeile mit. Und als das Lied zuende war, startete ich es von neuem. So lange bis meine Stimme versagte.
    Dann überlegte ich, wo eigentlich Anne so lange abblieb. Langsam machte sich ein mulmiges Gefühl in mir breit. Ich wusste, was mir bevorstand, wenn ich ohne Anne einschlief. Und ich wurde immer müder. Dream the same thing every night.
    Ich stand vom Bett auf und lief mit der Dröhnung in den Ohren durch das Zimmer. Wachbleiben. Ich setzte mich wieder aufs Bett, stand wieder auf, setzte mich wieder.
    Irgendwann kam das Abendessen, gleich die doppelte Portion. Sehr schön. Ich schlang. Ich ging aufs Klo. Immer mit Musik in den Ohren. Nach dem Essen wurde ich so richtig müde. Und Anne war immer noch nicht da. Ich schnappte mir die Stifte und überlegte, ob sie für Wandmalerei taugten. Sollten sie eigentlich, beschloss ich. Aber durfte ich das überhaupt? Scheiß drauf. Sie hatten mich ans Bett gefesselt, dafür würde ich ihnen nun die Wände versauen. Sie konnten froh sein, dass ich ihnen nicht vor ihre Bürotüren kackte.
    Ich nahm mir einen schwarzen Stift und vollführte einige wilde Schwünge auf der Wand. Ohne Ziel, ohne konkrete Idee. Wie immer. Aber es sah gut aus. Ich entdeckte Teile der Aschenwelt, als sie noch aussah wie sie einmal ausgesehen hatte. Kaputte Häuser, Schmutz und Zerstörung. So gefiel sie mir besser, da wusste ich wenigstens, woran ich war. Nicht diese bedrückende Leere wie jetzt. Ich zeichnete ein paar Teufel zwischen die Ruinen und dann mich mit einem riesigen Schwert daneben. In der nächsten Szene schlug ich mit dem Schwert immer gleich mehreren Teufeln gleichzeitig die Köpfe ab. Es machte Spaß und meine Müdigkeit war wie verflogen. Ich kritzelte die komplette Wand voll mit Szenen, in denen ich auf jede nur erdenkliche Weise die Teufel killte. Dazu den perfekten Soundtrack in meinen Ohren. Wenn es in echt auch so einfach wäre.
    Irgendwann schmerzte mein Arm vom vielen Zeichnen. Und Anne war immer noch nicht da. Noch ein Bild. Anne, so groß und schön wie möglich. Mit anderen Farben, nicht nur Schwarz. Vielleicht konnte ich sie damit herbei beschwören. Ich war überzeugt davon, dass das früher schon ein paar Mal funktioniert hatte. So oft klingelte plötzlich Anne an

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