Ascheträume
keine Zeit.
Wir verließen den Park, bevor die Polizei kam. Ich wollte Charles anrufen und ihm erzählen, was vorgefallen war, und ihn fragen, wie es meiner Mutter ging.
Nach mehreren Versuchen ging er endlich ans Telefon, und ich übermittelte ihm die schrecklichen Neuigkeiten. Er sagte, ich solle Ruhe bewahren und in der Villa auf ihn warten. Wenn alles so laufen würde, wie geplant, würde er meine Mutter an einen sicheren Ort bringen und am Abend wieder zurück sein. Auch Sally hatte er schon gebeten, abzureisen, also würde ich das Haus leer vorfinden. Er sagte mir, wo er den Schlüssel versteckt hatte, und wir verabschiedeten uns voneinander.
Zum Glück hatten Christine und Leo die ganze Zeit über die Nerven behalten, aber ich wollte trotzdem nicht, dass sie mitkämen.
»Leute«, sagte ich und blieb stehen, »ihr könnt nicht mitkommen. Es ist zu gefährlich. Ludkar kennt meinen Geruch, er kann mich problemlos wiederfinden. Ihr müsst euch von mir fernhalten, wenn ihr wollt, dass so etwas wie heute nicht noch einmal passiert.«
»Wir sollen dich also mit einem Irren allein lassen, der dich verfolgt?«, sagte Christine mit großen Augen.
»Ich werde einen Eimer Wasser mitnehmen«, versicherte ich ihr.
»Eine Bazooka wäre besser«, meinte Leo.
»Nein, wirklich«, beharrte ich. »Ich gehe allein zur Villa und warte auf Charles. In der Zwischenzeit könnt ihr im Internet nach Informationen über die Raffinerie suchen. Wir müssen herausfinden, was das für ein Betrieb ist und wo er sich befindet. Wenn wir das Feuer im Kamin löschen, halten wir Ludkar zwar nicht ganz auf, aber wir können ihm das Leben zumindest schwerer machen.«
»Du willst in einen Betrieb eindringen, das Sicherheitssystem außer Kraft setzen und einen Kamin löschen?«, fragte Leonard, als sei ich übergeschnappt.
»Ja.« Mittlerweile kam mir gar nichts mehr absurd vor. »Bist du denn nicht ein Zauberer am Computer?«
»Doch«, erwiderte er.
Christine schüttelte zwar den Kopf, aber auch sie wusste sehr gut, dass dies die einzige Möglichkeit war, um Zeit zu gewinnen.
Wir trennten uns, nachdem wir ausgemacht hatten, dass sie mich anrufen würden, wenn sie etwas über die Raffinerie herausgefunden hätten. Ich umarmte sie fest. Durch die Angst, die beiden zu verlieren, war mir klar geworden, wie wichtig mir ihre Freundschaft und ihre unschätzbare Unterstützung waren.
Ich sah, wie sie in einen Bus stiegen, und erst als sie aus meinem Blick verschwunden waren, ließ ich meinem Kummer freien Lauf. Ich schlang die Arme um mich und machte mich auf den Weg nach Hause. Meine Schuldgefühle wucherten in mir wie ein Tumor. Wie ein Krebs, der seine Scheren um meine Kehle legte und zudrückte.
Bevor ich zur Villa ging, musste ich mich vergewissern, dass auch Susan und Penny in Sicherheit waren. Zuhause warteten im Kühlschrank noch die Iris auf mich. Ludkar konnte vermutlich nicht gleich wieder in die reale Welt zurückkehren, wie auch ich immer erst nach einiger Zeit wieder ins Cinerarium reisen konnte. Doch auch dort würde er Opfer finden. Er würde keine Skrupel haben, seinen Wahnsinn an einem kleinen Mädchen und dessen Schwester auszutoben. Vielleicht kannte Nate einen Ort, wo er sie verstecken konnte.
Mit tropfenden Kleidern kam ich bei der Apotheke an und stieg die Treppen hinauf. Ich wäre fast ausgerutscht, konnte mich aber gerade noch am Geländer festhalten. Meine Sinne waren vernebelt, doch ich versuchte mit aller Kraft, wach zu bleiben. In meinem Zimmer zog ich ein frisches T -Shirt an und warf das alte in den Müll. Die Flecken des Todes würden sich ohnehin nie mehr herauswaschen lassen. Ich ging in die Küche und holte die letzten Iris. Im Wohnzimmer setzte ich mich in den Sessel neben dem Aquarium. Sollte Ludkar mich überraschen wollen, würde er mich nicht unvorbereitet vorfinden.
Ich sah die Blumen nicht einmal an. Ich dachte an Susan und Penny. Und stürzte.
Als ich im Cinerarium zu mir kam, war die Luft stickiger als sonst. Ich dachte, ich wäre im Luna Dark erwacht, stattdessen aber befand ich mich in einem geschlossenen, engen Raum. Erst als ich aufstand, wusste ich, wo ich war. Vor mir stand die Statue mit den violetten Augen. Ich war im unterirdischen Gewölbe der Bibliothek von Alexandria.
»Thara!«, rief jemand hinter mir. »Was ist passiert?«
Ich drehte mich um.
Susan und Penny kauerten auf einem Steinaltar, Penny weinte.
Ich sah mich um. Dieses Mal war meine Reise heftiger gewesen als sonst. Ich
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