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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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wusste nicht, worauf er hinauswollte. Ob er überhaupt auf etwas hinauswollte.
    »Weißt du«, murmelte er mit warmer Stimme, »ich habe eine Illustration gefunden …«
    »Die der drei Welten?«, fragte ich und biss mir sogleich auf die Lippe.
    Dies war nicht der Moment, um ihn zu unterbrechen.
    »Nein, die hier.«
    Vorsichtig blätterte er die großen Seiten um. Fast war mir, als würde er mit der Hand durch mein Haar fahren. Tausende Schriftzeichen, seltsame Figuren und Bilder einer untergegangenen Kultur zogen wie ein Blitz an meinen Augen vorbei – genauso schnell wie die Zeit, die ein einzelner Mensch in der Geschichte des Universums einnahm. Mir wurde klar, wie kleinlich und sinnlos unser Verhalten gewesen war. Unser aller Verhalten. Wir hatten so wenig Zeit, und es war kompletter Irrsinn, sie mit Hass zu füllen.
    Nates Hände blätterten zu einer anderen Seite, die ich gut kannte. Ich schauderte.
    Es war die Zeichnung zweier Menschen, die sich küssten. Über ihnen stand der schwarze Mond. Auf der gegenüberliegenden Seite war dieselbe Szene dargestellt, aber die beiden Liebenden waren zu Asche zerfallen. Nate blickte mich zärtlich an. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
    »Ich habe kein Buch gebraucht, um zu wissen, dass ich dich liebe.«
    Das waren die Worte, von denen ich geträumt hatte. Es war alles, was ich mir wünschen konnte. Ich war gerührt von so viel Klarheit und von seinem Strahlen. Nate sah mich an, als sei ich eine untergehende Sonne. Sein Blick war wie eine sehnsüchtige, leidenschaftliche Brise.
    Ohne es zu merken, hob ich eine Hand. Sein Blick glitt über meinen Arm und blieb darauf haften. Ich spürte, dass die Missstimmigkeiten zwischen uns für immer beseitigt waren.
    Über unsere verzauberten Augen würde nie wieder ein Schatten fallen.
    Ungeduldig und vorsichtig zugleich, näherte ich meine Hand seinem Gesicht. Die Wärme seiner Wangenknochen brannte an meinen Fingerkuppen. Nate sah mich durchdringend an, während ich gegen meine tiefsten Bedürfnisse ankämpfte. Ich berührte ihn nicht, aber ich kam ihm sehr nahe. Kleine Stromschläge durchfuhren meine Finger, und ich sah, wie sich seine Haut an den Stellen, denen ich mich näherte, schuppte und schwarz wurde. Bei mir war es dasselbe, aber so, ohne dass wir uns wirklich berührten, war es ein süßer Schmerz. Ein Schauder, in dem sich unsere Liebe vereinte.
    Dann hob Nate die Hand zu meinem Hals. Ich neigte den Kopf nach hinten, um meine Haut zu entblößen und ihm zu zeigen, dass ich ihm gehörte. Er drehte leicht die Hand und strich mit dem Handrücken über die Mulde unter meinem Kinn.
    Ich schloss die Augen vor Erregung. Seine Berührung war wie ein warmer Bach. Sie war so leicht und doch so intensiv. Ich öffnete leicht den Mund, und Nate strich über meine Lippen. Es war wie ein Kuss seiner Seele, ein Gedicht, das mich dort berührte, wo ich es wirklich fühlen konnte.
    Ich wollte der Versuchung schon nachgeben und ihn richtig berühren, meinen Händen freien Lauf lassen und seinen wunderbaren Körper erkunden, als Nate seine Hände zurückzog.
    Unsere Gefühle flüchteten sich wieder in unsere Herzen.
    Als ich die Augen aufschlug, lächelte er noch immer, aber sein Blick fiel wieder auf die Buchseite.
    »Ich liebe dich wirklich, Nate«, sagte ich, während mein Atem regelmäßiger wurde.
    Er sprang auf. Es musste auch für ihn schwierig gewesen sein, sich zu bremsen.
    »Hier!«, sagte er in einem Tonfall, der mich ablenken sollte. »Ich habe eine Stelle gefunden, in der es um dich geht.«
    Vielleicht hatte er recht, vielleicht war es besser, aufzuhören, bevor wir uns Schmerzen zufügten.
    Ich zwang mich, die Seite anzusehen, die er aufgeschlagen hatte.
    »Es geht um Dämmerwesen«, sagte ich, als ich die Kapitelüberschrift übersetzt hatte.
    »Ja, so weit war ich auch schon. Sie haben violette Augen wie du.«
    Er sah mich kurz an, als wollte er mich noch einmal streicheln. Beide taten wir so, als hätten wir es nicht bemerkt.
    »Ich bin ein Dämmerwesen«, sagte ich.
    »Hast du Lust, den Text mit mir zu lesen?«
    Ich lächelte, so locker ich konnte, und nahm ihm das Buch aus der Hand. Unsere Finger berührten sich fast.
    In der Mitte der Seite war eine Art Grafik abgebildet.

    Sie war in drei Spalten eingeteilt. Links oben stand eine Sonne, rechts oben der Mond. Ich konzentrierte mich auf das Symbol in der Mitte, das so aussah wie die Morgen- oder Abenddämmerung.
    Unter den drei Darstellungen waren wieder drei

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