Ascheträume
bemerkte Leo meinen Schrecken und vor allem wie unangenehm mir das alles ihretwegen war. Ich hatte sie nicht in diesen Albtraum mit hineinziehen wollen.
Leo ergriff die Initiative. »Los, in den Park!«, sagte er, und wir rannten zu den Bäumen.
»Und was sollen wir im Park?«, ächzte Christine atemlos.
»Wir verstecken uns.«
»Tolle Idee!« Sogar jetzt, im Angesicht des Feuers, gelang es Christine noch, sarkastisch zu sein. Wir rannten durch das Tor des Parks und blickten uns suchend um.
»Die Kirche!«, sagte Christine und deutete auf den Bau. »Vampire können doch nicht in Kirchen gehen, oder?«, fragte sie und drehte sich nach mir um.
»Ich weiß es nicht …« Mein Blick verriet, dass ich vollkommen am Ende war.
Wir rannten zu der Kirche. Ludkar war weit und breit nirgends zu sehen. Vielleicht hatten wir Erfolg.
Wir kamen zu der Treppe mit den Tauben und dem Bärtigen, dem ich vorher ein bisschen Kleingeld gegeben hatte. Er sah, wie wir an ihm vorbeirannten, und ich hoffte, dass nun der Moment käme, in dem ich für meine gute Tat belohnt wurde. Wir betraten die Kirche und blieben stehen. Drinnen war es dunkel und still.
»Hoffentlich sind wir hier in Sicherheit«, sagte Leo und schnappte nach Luft.
»Seht doch!« Ich deutete auf den Altar. »Da ist ein Priester, wir können ihn um Hilfe bitten.«
Wir liefen durch den Gang und versuchten, unsere Aufregung zu dämpfen und nicht allzu viel Lärm zu machen. In der Kirche roch es nach Weihrauch, aber das machte mir keine Angst. Weihrauchgeruch in einer Kirche war normal. Dennoch konnte ich nicht umhin, nervös die brennenden Kerzen im Kirchenschiff anzublicken.
Am Altar wandte sich Leo an den Priester.
»Pater! Sie müssen uns helfen!«
Da drehte sich der Geistliche um.
Er hatte ein weißes Gesicht, große schwarze Augen und einen Furcht einflößenden Mund, aus dem Blut tropfte.
»Wie kann ich helfen?«, fragte Ludkar lächelnd.
Leonard, Christine und ich wichen zurück.
»Nein!«, ächzte ich und war kurz davor, in Tränen auszubrechen.
Ludkar sah uns an, er fuhr sich mit der Zunge über seine spitzen Zähne und leckte sich ein bisschen von dem roten Blut ab, das sein Gesicht befleckte. Es war widerlich. Schlimmer als alles, was ich je gesehen oder mir vorgestellt hatte.
Hinter ihm lag der echte Priester – verstümmelt in einer Blutlache.
Plötzlich verwandelten sich die Flammen der Kerzen in meterhohe, glühende und leuchtende Wirbel. Das ganze Kirchenschiff wurde taghell erleuchtet, und Ludkar sah in dem gelb-roten Glanz der Sünde und der Verderbnis aus wie der leibhaftige Teufel.
Wir rannten zum Portal, während seine Schritte hinter uns widerhallten. Christine stieß einen Schrei aus, der zusammen mit ihr durch die Tür drang. Auf der Treppe saß noch immer der Bärtige und sah zu, wie wir hinunterrannten.
»Schnell weg!«, rief ich ihm zu, aber Ludkar war schon am Portal, und der Mann merkte nichts.
Mit den Füßen zog Ludkar zwei lange, purpurrote Streifen hinter sich her.
Nun wussten wir nicht mehr, wohin wir uns flüchten sollten. Offenbar gab es keinen sicheren Ort, Ludkar würde uns überall einholen.
Wir standen am Fuß der Treppe und sahen ihn auf uns zukommen. Kaum war er eine Stufe hinuntergegangen, flatterte sein Mantel im Wind und entblößte das rote Futter. In diesem Moment drang dichter schwarzer Rauch aus der Kirche.
Der Vampir sah gierig und verstörend aus. Voller Genugtuung fixierte er uns. Er war ein Mörder, und wir waren seine nächsten Opfer.
Als er bei dem Bärtigen ankam, sprang der arme Mann erschrocken auf. Der Vampir drehte sich kaum nach ihm um, und ich musste mich zwingen, nicht hinzusehen.
Ich hörte nur, wie Leo brüllte, wie der bärtige Mann in Todesangst schrie und seine Knochen brachen.
Als ich die Augen wieder aufschlug, stand ich vor einem grauenvollen Bild. Ein Teil des Mannes lag verstreut auf der Treppe, die andere Hälfte war an die Mauer geschleudert worden.
Christine war kurz davor, sich zu erbrechen. Ich konnte nur starren und hassen. Hassen und starren. Nach diesem ungerechten Blutbad kam Ludkar in aller Ruhe die Treppen herunter. Er ging gebeugt und wankend, aus seinem Mund und von seinen Haaren troff die dunkelrote Flüssigkeit, die bis vor Kurzem noch der Lebenssaft dieses armen Mannes gewesen war.
»Christine«, sagte Leo und sah meine Freundin an, »ich liebe dich!«
Sie zeigte keine Reaktion.
Wir wichen weiter zurück. Ein Passant sah, was geschehen war, ließ die Leine
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