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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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ähnlich?«
    »Ich … ich habe vor dir noch nie jemanden gesehen, der so seltsame Augen hat wie ich.«
    »Warum?«, fragte er. »Wie sehen normale Augen denn aus?«
    Ich musste lachen. Jahrelang hatte ich ein Problem mit meinen komischen Augen gehabt, aber dank seines Gedächtnisverlusts war dies das Letzte, über das ich mir in seiner Gegenwart Sorgen machen musste.
    »Nun erinnere ich mich langsam wieder«, sagte er unvermittelt. »Nachdem du hier warst, sind mir Gegenstände und Orte in den Sinn gekommen.«
    »Wirklich?«, fragte ich erstaunt. Vielleicht besserte sich sein Zustand ja tatsächlich.
    »Ich habe mich an das Meer erinnert«, sagte er. Dann richtete er seinen Blick wieder auf den Horizont und sprang mit einem Satz auf. Er deutete mit dem Finger auf den Mond.
    »Jetzt passiert es gleich.« Ich sah, dass er aufgeregt war. »Das musst du sehen!«
    Auch ich stand auf.
    Sein Blick verlor sich in einer Vergangenheit, die wir zusammen suchten, und in einer Gegenwart, die er nur allzu gern teilen wollte.
    Kurz dachte ich, ob ich vielleicht Angst haben musste, doch er wirkte vollkommen entspannt. Er schien sich über das zu freuen, was er mir gleich zeigen würde.
    Als er merkte, dass ich mich auf ihn konzentrierte und nicht auf das, was in der Ferne geschah, fuhr er mir durchs Haar, um mir eine Strähne aus dem Gesicht zu streichen. Das wurde fast zur Gewohnheit.
    Er zog seine Hand zurück. Wahrscheinlich hatte er gesehen, dass ich rot wurde. In dieser grauen Welt fiel selbst die kleinste Färbung auf wie ein Pfau unter Pinguinen.
    Er näherte sich meinem Ohr mit einer Zärtlichkeit, die ich mir nie hätte vorstellen können, und flüsterte mir einen Satz zu wie ein Geheimnis, das niemand außer mir hören durfte: »Entschuldige … Ich erinnere mich gerade: Bestimmte Gesten können einen in Verlegenheit bringen. Aber es war stärker als ich.«
    Ich spürte, dass ich glühte.
    Ich spürte seinen Atem an meinem Hals und schloss die Augen, um dieses Gefühl andauern zu lassen. Seine Lippen hatten mich fast gestreift. Er rückte langsam von mir ab und blickte in die Ferne.
    »Sieh hier«, sagte er, und mein Blick folgte seinem Finger.
    Vor uns auf der weiten Aschefläche entstand etwas.
    Riesige violette Flammen wanden sich, als wollten sie sich ineinander verweben. Aus dem Nichts erstanden enorme, verschwommene Strukturen. Es war toll. Vor unseren Augen formte sich ein grauer, aschiger Wald aus violettem Feuer.
    »Das ist wundervoll!«, rief ich aus.
    Nate deutete ein Lächeln an und senkte den Kopf, um mich anzusehen.
    »Ich habe mir gedacht, dass es dir gefällt.«
    Hunderte und Aberhunderte Bäume bauten sich vor uns auf, genau wie das Flugzeug, das ich beim letzten Mal gesehen hatte. Die Flammen loderten und immer wenn sie sich zurückzogen, standen da plötzlich Baumstämme und -kronen, wo vorher nichts gewesen war.
    Ich lächelte ebenfalls. Das Spektakel, das sich mir bot, war wohl das Einzige aus Nates Welt, das am ehesten an die Schönheit einer Morgen- oder Abenddämmerung heranreichte.
    Wir betrachteten den Brand für eine, wie mir schien, unendlich lange Zeit. Dann wurden die Flammen weniger, sie teilten sich in kleine, immer schwächer werdende Bündel, und der grelle violette Schein, der das Firmament noch vor Kurzem überzogen hatte, verschwand. Genau so, wie die Iris welkten!, dachte ich.
    Nate schwieg, er starrte auch noch auf den Wald, als das Feuer längst erloschen war. Auch ich hatte nicht den Mut, etwas zu sagen, ich hatte Angst, die Worte würden den Bann brechen und uns beide wieder in einen Kamin reißen, wo wir Asche kehren müssten.
    »Es gefällt mir, wenn das passiert«, sagte Nate leise. »Diese Farbe … fast, als wäre man mittendrin.«
    Er drehte sich zu mir um, und wir sahen uns an. Ich wusste, dass er nicht das Feuer meinte. Ich spürte, wie mir die Brust eng wurde vor so viel Gefühl, und ich hatte Angst, es könne von einem Augenblick auf den nächsten wieder verschwinden.
    »Das war schön«, sagte ich mit zitternder Stimme.
    »Ja«, sagte er, während ihm eine Strähne in die Augen fiel und sie aufleuchten ließ wie ein Polarlicht.
    »Deine Augen sind violett«, flüsterte er, neigte den Kopf und hob mein Kinn an, um mich besser betrachten zu können. Wieder war er so nah.
    »Ja«, sagte ich nur und kam mir dabei vor wie eine komplette Idiotin.
    Vielleicht hielt er meine Verlegenheit für Ärger, denn er rückte langsam von mir ab.
    »Ich weiß nicht, wie das vor sich geht,

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