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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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empfand. Ich wusste selbst nicht genau, was es war, aber es fühlte sich stark an, und ich hoffte, dass meine Anwesenheit ihm ein wenig Sicherheit gab.
    Ich unterdrückte den Impuls, ihm meine Gefühle ganz offen zu sagen. Ich wusste, dass es so niemals lief, zumindest nicht in meiner Welt. Wenn ich wollte, dass er sich wohlfühlte, musste ich ihm Raum geben, und zwar so viel er wollte.
    Er brach das Schweigen als Erster. Es kam ganz unerwartet.
    »Bring mich von hier weg, Thara«, sagte er heiter, als wisse er ganz genau, dass es Unsinn war, mich darum zu bitten.
    Ich ließ meinen Blick über die endlose Wüste schweifen.
    »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe, Nate. Ich habe keine Ahnung, wie diese Welt funktioniert.«
    »Ich weiß«, sagte er und in seinen Worten lag ein Hauch Enttäuschung, »aber ich muss hier weg. Ich weiß jetzt, was ›versprechen‹ bedeutet. Ich habe mich erinnert. Du hast meine Erinnerungen geweckt. Und du hast es mir versprochen.«
    »Ja gut …«, sagte ich.
    Ich suchte die richtigen Worte, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich mein Bestes tun würde, dass er mir aber helfen musste, weil mein Bestes vielleicht nicht genügte.
    »Warum warst du mit einer Waffe unterwegs?«
    »Waffe?«
    Ich hatte den Eindruck, dass er mich dieses Mal verstanden hatte, aber einen Grund suchte, mir nicht antworten zu müssen.
    »Meinst du das Ding in meiner Hand?«
    Ich nickte.
    »Ein Grauer hat mich angegriffen. Ich musste mich verteidigen«, sagte er. »Ich habe dich gesucht. Wenn ich dich gefunden hätte, hättest du dich vielleicht auch wehren müssen …«
    Es fiel mir schwer, ihm zu glauben.
    »Wogegen, Nate? Die Aschemenschen können dich nicht sehen. Außerdem glaube ich kaum, dass ein kleines Messer sie aufhalten könnte. Sie sind aus Asche. In ihren Adern fließt kein Blut, sie erstehen wieder auf, ich habe es gesehen …«
    Irgendetwas an meinen eigenen Worten störte mich. Aber ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Nate unterbrach mich: »Aber wenn sie wissen, dass du hier bist, direkt vor ihren Augen … Glaub mir, es ist besser, wenn du bewaffnet bist.«
    Ich glaubte ihm nicht.
    Er schien es zu merken. Er hatte in meinem zweifelnden Gesicht gelesen. Zärtlich legte er mir die Hände auf die Schultern. Sie waren warm, dennoch lief mir ein Schauer über den Rücken.
    »Denk dran«, sagte er wie ein Gebet, »du hast es versprochen. Halte dein Versprechen, Thara. Dennoch bitte ich dich inständig, nicht mehr nach mir zu suchen.«
    Er betonte die letzten Worte einzeln, um ihnen Nachdruck zu verleihen. Ich bekam Herzklopfen.
    »Wenn du mich nicht mitnehmen kannst, darfst du nie mehr wiederkommen, Thara. Das musst du mir schwören.«
    Ich zögerte.
    Wie schon oft zuvor versteckten sich auch nun die richtigen Worte in dunklen Ecken. Als er merkte, dass ich nichts sagte, stieß er mich von sich und krabbelte fort wie eine Spinne.
    Diese Reaktion verletzte mich zutiefst. Alle Welten, die ich kannte, fingen an, sich schwindelerregend um mich zu drehen. Sah er nur einen Rettungsanker in mir? Ich erstickte meinen Groll und beruhigte mich. Ich musste mich darauf konzentrieren, ihm zu helfen. Denn es stimmte: Ich hatte ihm ein Versprechen gegeben.
    Er litt Höllenqualen – an einem Ort, der vielleicht schlimmer war als die Hölle.
    Sein Gesicht machte mir Angst. Er sah aus wie jemand, der Angst hatte vor dem Unausweichlichen.
    »Ich fürchte mich davor, dir wehzutun, Thara. Du bist ganz anders als ich, ich könnte eine Gefahr für dich werden.«
    Etwas in seiner Stimme ließ mich aufhorchen, doch gleichzeitig fühlte ich mich besser. Es gab einen Grund, warum er mich nicht wollte. Er sorgte sich um mich.
    Alles schien immer absurder zu werden. Er sagte mir, ich sei in Gefahr, er selbst sei eine Gefahr, und ich fühlte mich besser … War ich noch ganz bei Trost? Wahrscheinlich nicht.
    Ich stellte ihm keine weiteren Fragen. Ich musste warten, bis er so weit war, mir von selbst alles zu erklären. Also sagte ich nur: »Seit meiner Geburt bist du der einzige Mensch, mit dem ich etwas gemeinsam habe.«
    »Wie meinst du das?«, fragte er zerstreut.
    »Na, alles in allem sind wir beide vollkommen daneben.«
    »Was heißt das?«
    »Eben das!«
    Ich musste lächeln – genau das hätten Christine und Leo sagen können.
    »Nichts, lassen wir das …«, sagte ich, als ich sah, dass er mich nicht verstand. »Ich bringe dich nur durcheinander.«
    »Nein, das interessiert mich. Was an mir ist dir

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