Ascheträume
ihm war.
»Ich habe dich überall gesucht«, fuhr er mit großer Anstrengung fort. »Ich habe gehofft, dich nicht zu finden. Es ist ganz schlecht, dass du hierhergekommen bist, Thara.«
Ich fuhr mit dem Ärmel über seine blutende, bleiche Stirn, konnte aber nicht feststellen, wie tief die Wunde war.
»Was ist passiert?« Ein gespenstisches Krächzen entrang sich meiner trockenen Kehle.
Nate mied meinen Blick, er hatte den Kopf zur Seite gedreht und wollte eindeutig verhindern, dass ich ihm ins Gesicht sah.
»Es geht mir gut«, sagte er in einem Ton, der mich lähmte. Kalt und distanziert. Fast, als würde er mich bitten, ihn nicht anzufassen und mich von ihm fernzuhalten.
»Du blutest, Nate.«
Er antwortete nicht, sondern drehte sein Gesicht aus dem Licht. »Es geht mir gut«, wiederholte er. »Das ist nur ein Kratzer.«
Ich sah meinen Ärmel an. Da war kein Blut. Nur Asche.
Als ich Nate erneut anblickte, sah ich, dass auch auf seinem weißen Gesicht keine Spur mehr von Blut war. Seine Haut war wieder glatt und heil und schien nur ein bisschen mit Asche verkrustet, als hätte er sich damit gewaschen.
Wie war das möglich? Ich hatte die Wunden gesehen, ich hatte das Blut gesehen.
Ich sah ihn an, ohne zu begreifen, ohne zu wissen, was ich noch sagen sollte. Er lächelte mich an.
»Siehst du? Nur ein Kratzer.«
Ich sah ihm aufmerksam in die Augen, um in deren Farben die Wahrheit zu lesen. Doch sie sagten mir nur, dass sie geweint hatten.
Ich beruhigte mich langsam. Es ging ihm gut.
Es ging ihm gut, und er wollte mich nicht umbringen.
Das waren zwei Ausgangspunkte, die gar nicht so schlecht waren.
Er lächelte mich noch immer an, so zärtlich, so absolut im Gegensatz zu allem anderen. Ich hätte nicht geglaubt, es ihm gleichtun zu können, doch plötzlich spürte ich, wie meine Mundwinkel sich gegen meinen Willen hoben.
In diesem Moment hörte ich ein Heulen hinter mir. Mein Herz fing an zu rasen. Es war eines dieser Aschemonster, da war ich mir sicher.
»Sei still«, flüsterte Nate. »Die Grauen können dich nicht sehen. Wir dürfen nur kein Geräusch machen.«
Ich schluckte und sah aus dem Augenwinkel, wie eine schauderhafte Gestalt den Korridor entlangschritt. Sie irrte umher wie ein ruheloser Geist, wie eine Mumie ohne Binden. Wirklich furchterregend.
Da verließen mich die Kräfte, meine Knie gaben nach, und ich fiel um.
Ich schloss kurz die Augen.
Als ich sie wieder öffnete, fand ich mich auf einem Dach wieder. Gegen die unerwartete Helligkeit musste ich die Lider gleich wieder schließen.
Ich war noch im Cinerarium. Was war geschehen, und warum war ich plötzlich im Freien?
»Du bist ohnmächtig geworden«, hörte ich Nates Stimme, als hätte er meine Gedanken gelesen.
Ich suchte ihn mit zusammengekniffenen Augen gegen das grelle Licht. »Wie konnte ich denn ohnmächtig werden, wo ich in der realen Welt doch tief und fest schlafe? Also, ich meine natürlich: in meiner Welt«, verbesserte ich mich.
Nate sagte nichts.
Ich war verwirrt und hatte Kopfschmerzen.
Als ich wieder scharf sehen konnte, merkte ich, dass er sich von mir entfernte. Mit tieftraurigem Blick, der sich hinter einem Horizont verlor, den ich nicht sehen konnte, setzte er sich mit dem Rücken zu mir auf einen Dachsims.
Auch als ich aufstand, drehte er sich nicht um.
»Hast du mich hier heraufgetragen?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete er und starrte weiter in den schwarzen Mond oder auf etwas dahinter.
Langsam und vorsichtig näherte ich mich ihm. Ich wusste nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Als ich hinter ihm stand, drehte er sich endlich um, aber nur ganz kurz, um sich zu vergewissern, dass ich nicht floh. Zumindest kam es mir so vor. Dann konzentrierte er sich wieder auf den Nicht-Mond. Sein Gesicht war ausdruckslos.
»Willst du … mir sagen, wie es dir geht?«, fragte ich schüchtern. »Was ist passiert, als ich weggegangen bin?«
Ich versuchte, so langsam wie möglich zu sprechen. Ich wusste noch immer nicht, was ihn so aufgebracht hatte. Was ihn im Inneren trieb. Ich musste sehr vorsichtig mit ihm umgehen. Irgendetwas brodelte unter seinem ruhigen Äußeren. Etwas, das jeden Moment explodieren konnte.
Er runzelte die Stirn und wurde ernst. Wenn er so ein Gesicht machte, war er atemberaubend schön.
Ich setzte mich neben ihn auf den Sims, und zusammen betrachteten wir den Nicht-Mond gefühlte Ewigkeiten. Ich hoffte, ihm auf irgendeine Weise vermitteln zu können, was ich für ihn
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