Ascheträume
herausgefallener Türen, die auf dem Boden lagen. Ich lief hindurch und vermied es, auf den Schutt zu treten.
Am Ende sah ich eine Treppenflucht – oder was davon übrig war. Es fehlten ganze Stufen, und die Dunkelheit, die sie umhüllte, schien sie um jeden Preis verschlingen zu wollen. Ich war nur noch wenige Meter davon entfernt, als ich im oberen Stockwerk Schritte hörte. Ich schauderte.
Da kam jemand die Treppen herunter.
Ich zitterte so sehr, dass ich stehen bleiben musste und keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Ruckartig wandte ich den Kopf in alle Richtungen, um eine Ecke zu finden, in die ich mich verkriechen konnte. Ich wollte schon losrennen, da tauchte auf der Treppe ein Gesicht auf.
Nate.
Es war wie ein Schlag in die Magengrube. So unverhofft, dass ich erleichtert war und es mich gleichzeitig schmerzte.
Seine wunderschönen Augen sahen in der Dunkelheit aus wie die eines ausgehungerten Katers. Sie funkelten so gefährlich, dass ich mir wehrlos vorkam. Sie waren unruhig und machtvoll. Sie blockierten meine Gedanken wie seine Hände meinen Körper bei unserem letzten Zusammentreffen.
»Thara!« Er flüsterte fast.
Er stand reglos da. Kaum hatte er mich gesehen, war er stehen geblieben. Seine Stimme zitterte. Ich stammelte etwas, ohne genau zu wissen, was. Ich war erleichtert, dass er es war und dennoch hatte mich sein plötzliches Auftauchen zu einer Eissäule erstarren lassen. Schließlich lächelte ich leicht, um die Spannung zu lindern.
»Hallo, wie geht’s?«, fragte ich und machte einen schüchternen Schritt nach vorn.
Im Dunkeln sah ich nur die tausend Farben seiner Augen, konnte aber seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.
Er antwortete nicht, und er rührte sich nicht vom Fleck.
Irgendetwas war hier faul.
Auf einmal wurde mir klar, dass ich mir Hoffnungen für unser drittes Treffen gemacht hatte. Ich hoffte nicht auf eine Umarmung, aber doch auf irgendeine Liebenswürdigkeit. Und doch war unser beider Reaktion ganz anders, als ich es mir ausgemalt hatte.
Irgendetwas an diesem Jungen weckte in mir den Wunsch, mich umzudrehen und zu verschwinden. Irgendetwas Böses.
»Nate!«, rief ich.
Ich hob dabei leicht die Stimme. Er aber sah mich nur weiter schweigend an. Ich verstand ihn nicht.
Als wir uns das letzte Mal getroffen hatten, hatte er nicht gewollt, dass ich wieder ging. Sein Verhalten schien keinerlei Logik zu folgen. Und wenn es eine gab, dann begriff ich sie nicht.
Er stand noch immer da, ohne sich zu regen, wie ein Tier, das auf einen Angriff lauert. Kurz fürchtete ich, die Person da vor mir sei gar nicht Nate.
Genau in dem Moment, als ich mich entschied, zu ihm zu gehen, bewegte er sich kaum merklich.
Ich sah einen metallischen Glanz in seiner Hand. Er hielt einen Gegenstand. Er wirkte spitz. Ich bekam Angst, in der Falle zu sitzen wie letztes Mal auf seinem Schiff, als er mir mit wenigen Bewegungen alle Fluchtwege abgeschnitten hatte. Ich erinnerte mich an seine Hände, die mich mit Gewalt festgehalten hatten, als würde ich ihm gehören. Tatsächlich hatte mein Leben kurz vollständig in seiner Hand gelegen. Ich hatte ihn gehasst, weil er mich dazu gebracht hatte, mich so hilflos zu fühlen, und ich hatte mich selbst gehasst, weil ich nicht in der Lage gewesen war, ihn daran zu hindern.
Nun spürte ich, wie mir derselbe dumpfe Schmerz unter die Haut kroch, ähnlich wie Adrenalin, nur heißer und bitterer. Fremd. Es drückte gegen meine Adern und dröhnte mir in den Ohren.
»Nate«, sagte ich in kalter Erstarrung, »was hast du vor?«
Wieder war ich unfähig, seine Reaktionen vorauszusehen, wieder hatte ich keine Waffen, um mich ihm zu widersetzen. Und wieder war ich angesichts dieser Augen wehrlos.
Ich keuchte. Ich hatte die Gefahr selbst gesucht.
Nate trat nun ganz aus dem Schatten.
Er war bewaffnet. Er hielt ein Messer in der Hand.
Automatisch wich ich zurück. Ich hätte nicht kommen dürfen, um ihn zu suchen.
In diesem Augenblick fiel ein Lichtstrahl auf sein Gesicht, und sofort schlug meine Angst in Sorge um.
Nie im Leben hätte er mir etwas getan.
Er machte das gleiche Gesicht wie damals, als ich auf dem Schiff aufgetaucht war, nur dieses Mal blutete er. Sein Gesicht war rot gestreift, eine Maske aus Blut und Tränen.
Das Messer fiel ihm aus der Hand.
»Ich habe dich überall gesucht«, sagte er mit dünner Stimme, dann fiel er kraftlos auf die Knie.
Ich wollte zu ihm eilen und ihm aufhelfen, aber er war schon aufgestanden, bevor ich noch bei
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