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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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erfüllte mich mit Freude und Aufregung. Jedes Mal wenn wir uns berührt hatten, hatte ich den Eindruck gehabt, er würde mich in den Arm nehmen und mich weit wegbringen, in das große Geheimnis, das in den Farben seiner Augen verschlossen war. Ich liebte ihn wirklich. Ich hatte das Gefühl, alle Zeit der Welt mit ihm verbringen zu können, ohne je aufzuhören, ihn zu begehren. Ich hatte dieses Gefühl nicht als Liebe identifizieren können, weil ich nie zuvor etwas so Intensives empfunden hatte. Ich fühlte mich so wohl mit ihm wie mit einem Freund, gleichzeitig aber fühlte ich mich beschützt, einzigartig, wertvoll. Und dieses Lächeln, das er mir schenkte, sprach eine deutliche Sprache. Es sagte: »Ich liebe dich.« Warum hatte ich es nicht hören können?
    Nun konnte ich die Tränen wirklich nicht mehr zurückhalten. Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden und ein Kloß in meinem Hals saß. Ich heulte leise, es war ein kaum hörbares Klagen. Das war also die erbarmungslose Rechnung, die diese Welt uns präsentierte: Eine Liebe, die nicht gelebt werden konnte. Diese Welt hatte uns versprochen, etwas entstehen zu lassen, nur um es uns dann wieder zu rauben.
    Aber ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es gleich wissen müssen. In der Asche keimten keine Blumen.
    Ein Geräusch ließ mich zusammenzucken, es kam von der Leiter. Ich hob den Kopf.
    Das musste Nate sein. Augenblicklich schlug ich das Buch zu und versuchte, meine Tränen wegzuwischen.
    Ich machte mir etwas vor, wenn ich glaubte, er würde nicht merken, wie sehr ich litt. Ich zog die Nase hoch, stand auf, dabei versuchte ich, einigermaßen Haltung zu wahren. Ich wollte nicht, dass er mich so sah. Wahrscheinlich würde ich beim Anblick seines zauberhaften Gesichts auf der Stelle in Tränen ausbrechen und ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde, ihn nicht zu umarmen.
    Langsam ging die Falltür auf.
    In Erwartung seiner tausendfarbigen Augen hielt ich die Luft an.
    Aber da kam kein schillernder Blick.
    Da kamen lange schwarze Haare mit feuerroten Strähnen.
    Er hatte mich kalt erwischt. Ich war so damit beschäftigt gewesen, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten, dass ich auf Ludkars Erscheinen nicht vorbereitet war.
    Ich riss die Augen auf, als erst die blasse Stirn, dann sein wilder Blick auftauchten. Der große dunkle Mund lächelte dünn.
    »Haaaallo«, sagte er und dehnte das A wie in einem seltsamen Singsang.
    Dann sprang er mit einem Satz herein. Sein schwarzer Mantel flatterte auf. Die Bretter knarrten unter seinen nackten Füßen.
    Er neigte den Kopf.
    »Hast du jemanden erwartet?«, fragte er in gespielt harmlosem Tonfall.
    Ich wich zurück. Hinter mir fühlte ich die Wand des Baumhauses.
    Ich war in der Falle. Ein Vögelchen, das mit einer Kobra in einer Schachtel eingesperrt war.
    »Bleib stehen! Bitte, tu mir nichts«, flehte ich ihn an und schnappte nach Luft.
    Sein schwarzer Blick, der über mich wanderte, ohne sich auf etwas Bestimmtes zu heften, schien Grenzen abzustecken, die ich nicht mehr würde übertreten können.
    »Sehe ich denn aufgeregt aus?«, fragte er und hob die Arme.
    Dieses Verhalten wirkte wie ein Vorspiel auf etwas Schrecklicheres – wie die schlechte Nachricht, die auf die gute folgt.
    »Ich muss mit dir sprechen«, sagte ich, um aufzuhalten, was mir nunmehr unaufhaltsam schien.
    Ludkar fuhr mit dem Daumen durch seine Haare und leckte sich die Lippen.
    »Genau deshalb bin ich gekommen. Um zu reden.« Er zog die Augenbrauen hoch und besah sich die Decke des Baumhauses mit wirrer Miene. »Kein Feuer. Keine Flammen diesmal. Es gibt jetzt also keinen Grund, Angst zu haben.«
    Meine Angst schlug in Unschlüssigkeit um. Mein Gespür sagte mir, ich müsse auf der Hut sein, aber Ludkar machte nicht den Eindruck, als wollte er auf mich losgehen. Dies hier schien sein ganz normaler Umgangston zu sein. Er war seltsam. Ganz entschieden seltsam und grotesk.
    »Ach so? Gab es denn vorher einen Grund dazu?«, fragte ich.
    »Aber natürlich!« Er heftete seinen Blick auf einen vagen Punkt, vielleicht auf meine Schultern.
    »Welchen?«
    Dann sah er mich an. Es war, als würde er aus einem Zustand der Verwirrung in vollkommene – dunkle – Klarheit geraten.
    »Hast du mit deinem Vater gesprochen?«, fragte er mit gedämpfter Stimme.
    Ich seufzte.
    »Hör zu, ob du’s glaubst oder nicht: Als wir uns getroffen haben, wusste ich noch nicht, wer mein Vater ist. Und vor allem wusste ich nicht, dass ich einen Vampir zum Vater

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