Ascheträume
warum?«
»Mir haben die Gerüchte nicht gefallen, die er über dich in Umlauf gesetzt hat. Ein Mädchen muss die Freiheit haben, ins Bett zu gehen, mit wem es will, ohne als Nutte hingestellt zu werden«, gab er zurück.
»Ich war nicht mit ihm im Bett!«, schrie ich, als müsse ich das unbedingt klarstellen.
»Ach nein?« Ludkar runzelte die Stirn. »Für mich macht das keinen Unterschied.«
»Für mich aber!«
Er drehte den Kopf nach rechts, und seine rötlichen Strähnen fielen auf die Seite.
»Jedenfalls konnte ich ihn als Ablenkungsmanöver nutzen, um deinem Freund das Handy wegzunehmen«, sagte er und leckte sich über die Lippen. Das schien ein nervöser Tick von ihm zu sein.
»Du bist echt teuflisch, weißt du das?«, scherzte ich.
Ludkar zuckte mit den Achseln.
»Man tut, was man kann.«
»Aber warum hast du erst jetzt nach mir gesucht? Warum nicht schon früher?«
»Bevor du ins Cinerarium kamst, wusste ich nicht, dass Kolor eine Tochter hat«, sagte er und besah sich das Häuschen.
Ich verstand nicht, warum er sich auf einmal für die Architektur des Baumhauses zu interessieren schien, aber wahrscheinlich wusste er das selbst nicht.
»Du hast mich zwar in der realen Welt gesehen, aber ich bin hier gefangen«, fuhr Ludkar fort. »Ich kann in deine Welt reisen, aber immer nur kurz.«
»Dann … dann bist du im Koma, und mein Vater ist schuld daran?«
»Im Koma?«, rief er ungestüm aus. »Nein. Wir Vampire können nicht ins Koma fallen. Aber wenn unser Körper unter Bedingungen leben muss, in denen er sich nicht regenerieren kann, landet unsere Seele hier und wartet darauf, zurückkehren zu können.«
Er bekam einen wilden Blick.
»Dein Vater hat wohl eine Möglichkeit gefunden, mich daran zu hindern …«
So langsam begann ich fast, mich wohlzufühlen.
»Und warum sollte er das tun?«
»Ich habe keine Lust, dir die ganze Geschichte zu erzählen«, sagte Ludkar brüsk und wedelte mit der Hand, wie um eine lästige Fliege zu verscheuchen. »Du bist mir keine Hilfe mehr.«
Er ging zu dem kleinen Fenster und stieg auf den Rahmen.
Er hatte keine Angst, dass die Holzsplitter ihn verletzen könnten.
»Ein schönes Leben noch!«, sagte er und sprang.
»He!«, rief ich.
Aber er war schon weg.
»Du schuldest mir noch ein paar Erklärungen!«, schrie ich durchs Fenster. »Wie stellst du es an, in die Wirklichkeit zu reisen?«
Ich blickte nach unten.
Keine Spur mehr von ihm.
»Ludkar! Auch ich suche meinen Vater!«
Durch die heruntergelassenen Autofenster wehte ein frischer Wind herein. Leonard, Christine und ich waren auf dem Weg nach Gorey.
Auf der Fahrt dachte ich daran, was passiert war und wie es nun weitergehen würde.
Zwei Punkte waren klar: Ludkar war inzwischen alles Mögliche für mich, aber sicherlich keine Gefahr mehr.
Den Großteil der Zeit nutzte ich, um ein psychologisches Profil von ihm zu erstellen. Er war ein interessantes Objekt, das die besten Kriminologen jahrelang studieren könnten.
Es war ihm egal, was er tat und wie er sich verhielt, nach menschlichen Maßstäben war er ein Anarchist. Er bewegte sich völlig frei und ließ sich von nichts und niemandem aufhalten. Er wollte die Leute aufschrecken und verwirren, um immer im Vorteil zu sein. Er kannte die Spielregeln und verstand es, sie aufs Beste für sich zu nutzen. Es gefiel ihm weißes, unbeschriebenes Blatt zu sein, so weiß wie sein Gesicht, auf dem von einem Moment auf den anderen jedweder Ausdruck erscheinen konnte.
Das Cinerarium, ursprünglich ein Ort der Verheerung und Einsamkeit, bevölkerte sich immer mehr. Vor ein paar Wochen noch hatte ich nicht einmal an die Existenz der Seele geglaubt und nun war ich gezwungen, mich mit Wesen abzugeben, die in keinem Buch erklärt wurden.
Unter dem Sitz zu meinen Füßen lagen die zwei Iris, die ich im Kühlschrank aufbewahrt hatte.
Wenn wir meinen Vater nicht in dem Schloss finden sollten, würde ich mit Nate reden. Am Morgen hatte ich dazu keine Gelegenheit gehabt. Mir wurde klar, dass ich nicht einfach nach Gutdünken ins Cinerarium reisen konnte, vorher musste immer eine gewisse Zeit vergehen.
Ich wollte Nate von Ludkar erzählen, ihn fragen, ob er ihn kannte, und ihm sagen, was ich in der alten ägyptischen Handschrift gelesen hatte. Ich seufzte. Vielleicht würde ich ihm doch nicht alles sagen. Ich wusste nicht, mit welchen Worten ich ihm erklären sollte, dass wir einander unserer Gefühle wegen nicht berühren durften. Ich konnte ihm nicht sagen,
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