Ascheträume
einer von uns einen Menschen tötet, kommt dessen Seele ins Cinerarium, weil er in Wirklichkeit in uns weiterlebt. Sein Blut zirkuliert weiter. Für immer.« Er blieb in einer seltsamen Haltung stehen, die kein Mensch je einnehmen könnte. »Und der Beweis: Er erinnert sich an nichts.«
Nate und ich schwiegen eine Weile.
»Stimmt, aber …«, fiel er dem Vampir schließlich ins Wort.
Doch Ludkar, der das Gespräch unbedingt bestimmen wollte, fuhr fort: »Und zwar weil sein Geist, in dem seine Seele wohnt, für immer zerstört ist.« Er stellte sich wieder mit beiden Beinen auf den Boden, beugte sich vor und sah mich an. »Nate ist begraben, Futter für die Würmer.«
Ludkars Kopf fuhr ruckartig herum wie bei einem Tier, das besser sehen will, was es vor sich hat. Ich war so durcheinander, dass ich nicht wusste, was ich noch erwidern sollte. Was er gesagt hatte, klang stimmig. Es war plausibel und schockierend. Das hieß, dass es für Nate keine Hoffnung mehr gab. Er könnte nie mehr von hier weggehen. Und früher oder später würde er ein Aschemensch werden. Als mich schon Panik überkommen wollte, erinnerte ich mich daran, dass Ludkar das Cinerarium auch ohne seinen realen Körper verlassen konnte.
Ich wollte ihn danach fragen, aber Nates Blick war hart und aus seinem Gesicht sprach mehr als nur Kummer. Ein Schimmer drang unter seinem T -Shirt hervor. Sein Herz brannte.
»Dein Vater …«, flüsterte er mit leerem Blick, »… dein Vater hat mich getötet?« Er bewegte die Lippen, aber kein Ton kam heraus. Dann sagte er: »Deshalb … deshalb habe ich mich also an ihn erinnert, als ich das Buch gelesen habe?«
Nate wollte Antworten, die ich ihm nicht geben konnte. Auch für mich war das eine entsetzliche Nachricht. Eine Nachricht, auf die ich nur allzu gerne verzichtet hätte.
»Das kann nicht sein!«, fuhr ich Ludkar an, um Nate zu zeigen, dass ich ihm nicht glaubte. »Mein Vater ist ein sanftes Wesen.«
Der Vampir kniff die Augen zusammen und leckte sich die Lippen.
»Das war er, bevor er verrückt geworden ist.« Er genoss unsere Anspannung sichtlich. »Ich bin Zeuge. Ich war dabei, als er ihn umgebracht hat.«
Nate hob den Kopf mit einem Ruck.
»Was ist damals passiert?«, fragte er, gierig, einen Teil seiner Vergangenheit nachvollziehen zu können, auch wenn es sich dabei um seinen Tod handelte.
Ludkar sah ihn gleichgültig an.
»Du hast gesagt, dass du nichts von mir willst. Also bekommst du auch nichts.«
Ludkar übertrieb es eindeutig. So seltsam er auch war, er durfte Nate nicht quälen. Nach einer derart schwerwiegenden Anschuldigung musste er ihm die ganze Wahrheit sagen.
»Dann erzähl’s mir, und das war’s dann.«
Ich hoffte, mich klar ausgedrückt zu haben: Schluss mit lustig. Doch nicht für Ludkar.
»Ich kann nicht gut Witze erzählen.« Er legte sein Gesicht in Falten, die beinahe sadistisch anmuteten.
»Und wenn wir beide allein sind?«, beharrte ich.
»Wenn wir beide allein sind, könnten wir etwas anderes machen«, sagte Ludkar verschlagen.
Es gefiel ihm wirklich, andere in Schwierigkeiten zu bringen. Ich wollte ihn schon böse anfahren und wäre wohl auch auf ihn losgegangen, da schrie Nate: »Gut! Ich lass euch jetzt allein!«
Ich fuhr herum. Auch mein Herz brannte vor Kummer. Nate schlich zum Portal wie ein geprügelter, wütender Hund. Er wirkte so frustriert und hilflos, dass ich herausplatzte: »Nate, du begreifst die Lage nicht!«
Nate blieb stehen und wirbelte einen Hauch Asche auf. Langsam drehte er sich um. Sein sonst so vielfarbiger Blick war fast schwärzer als der von Ludkar. »Du bist diejenige, die nicht mehr weiß, was sie sagt!«, schrie er.
Warum, zum Teufel, verhielt er sich so? Wenn er den Mund gehalten hätte, hätte ich jede Menge nützlicher Informationen erfragen können.
Ich riss die Augen auf – Ludkar konnte mein Gesicht nicht sehen –, um Nate zu zeigen, dass ich bluffte. Ich dachte, er würde meine Absicht verstehen: Wir mussten Ludkars Provokationen über uns ergehen lassen, wenn wir etwas aus ihm herausbekommen wollten.
Doch Nate schien überzeugt, dass ich ihn sich selbst überlassen hatte.
»Viel Spaß noch bei deinen Spielchen!«, rief er mit kalter Stimme.
Mit einem Tritt gegen ein Stück Holz verließ er das Schloss.
Ich spürte, wie mir die Brust eng wurde, und drehte mich entschlossen zu Ludkar um. Der Vampir blickte ungerührt drein, aber er wusste sehr gut, was er getan hatte.
»Spielst du gern Bridge?«, fragte er
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