Ascheträume
erzählte.
In dieser Frühlingsnacht saß ich auf Nates Grab und erzählte Charles alles, was passiert war.
Charles und ich redeten lange miteinander, bis ein Windstoß die Kerzen auf Nates Grab ausblies.
Ich wollte ihm alles so klar und deutlich schildern wie möglich, auch wenn in meinem Kopf nur wenig Klarheit herrschte. Als ich geendet hatte, bot er an, mich nach Hause zu fahren.
Auf der Fahrt versuchte ich mir vorzustellen, was in seinem Kopf vorging. Ich hatte ihm gesagt, dass sein Sohn – der Sohn, den er seit fast zwanzig Jahren tot glaubte – noch lebte. Auf irgendeine seltsame Weise an irgendeinem Ort.
Er bremste vor der Apotheke. Das grüne Licht des Kreuzes ließ sein Gesicht aufscheinen und wieder verschwinden, sodass ich den Eindruck hatte, in einem Augenblick mit ihm zusammen zu sein und im nächsten allein.
»Ich glaube dir«, sagte er schließlich. »Nachdem wir, deine Mutter und ich, dich so lange angelogen haben, ist es das Mindeste, was ich tun kann.«
»Danke, Charles«, sagte ich und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
Dass ich einem Erwachsenen alles erzählen konnte, ohne für verrückt gehalten zu werden, hatte mir ein wenig Sicherheit geschenkt.
»Aber sag Julia nichts davon«, seufzte er. »Es ist besser, wenn wir ihr nicht noch mehr Sorgen bereiten. Das ist jetzt unser Geheimnis.«
Ich nickte. Ich hatte ihm gerade das gleiche vorschlagen wollen.
»Aber dieser Ludkar«, fuhr er mit zusammengekniffenen Augen fort, »will er dir noch immer etwas antun?«
»Bestimmt nicht. Ich werde ihn im Gegenteil bitten, mir zu helfen, meinen Vater zu finden.«
Charles hob die Hand, um mich zu bremsen.
»Vorsicht! Der Vampir ist gefährlich.«
»Dann kennst du ihn?«
Charles schüttelte den Kopf.
»Nein. Aber dein Vater hat ihn einmal erwähnt. Als sie noch in Europa gelebt hatten, waren sie Freunde gewesen. Ich erinnere mich nur, dass er ihn als ein grauenvolles Wesen geschildert hat.« Charles sah mich zweifelnd an. »Aber wenn er aus dem Cinerarium herauskann, warum schafft Nate es dann nicht?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Das wird mir Ludkar erst verraten, wenn ich seinen Körper und meinen Vater gefunden habe.«
Charles schien über meine Schilderungen nachzugrübeln.
»Alles, was in dieser Welt verbrennt, landet in der anderen …«, wiederholte er leise.
»Ja.«
Dann hielt er inne und sah mich an, als wollte er mich um etwas bitten.
»Wenn du dort bist, Thara, sag ihm, dass sein Vater ihn liebt und ihn nie vergessen hat. Sag ihm, dass ich auf ihn warte. Sag ihm, dass er dir vertrauen kann.«
Ich küsste ihn auf die Wange, aber er schien es gar nicht zu bemerken.
»Wir sehen uns morgen im alten Kino«, sagte ich und machte die Tür auf.
»Bring die Schatulle mit«, mahnte er mich, als ich ausstieg.
»Und bring du ein paar Iris mit.«
Ich schlug die Tür zu und winkte ihm nach, während er sich entfernte. Er tat mir leid. Einen so heiteren Mann in solch einem Zustand zu sehen, konnte einen auf den Gedanken bringen, dass es in der Welt keine Hoffnung mehr gab. Ich suchte in meiner Handtasche nach dem Schlüssel und schloss die Haustür auf. Ich ging hinauf in unsere Wohnung. Alles war noch genauso, wie ich es verlassen hatte.
Ich lauschte an der Tür meiner Mutter, um zu hören, ob sie noch wach war. Sie schlief. Besser so.
Ich ging in mein Zimmer und zog mich aus. Ich hatte das Gefühl, meine Kleider seien von all den schrecklichen Gefühlen durchtränkt, die ich den ganzen Tag über mich hatte ergehen lassen müssen. Ausziehen reichte da nicht, ich wollte auch duschen.
Als ich mit geschlossenen Augen unter dem Wasserstrahl stand und meine Haare nach hinten strich, kam mir eine Idee, mit der ich meine Hypothese über das Cinerarium nachprüfen und Nate gleichzeitig um Verzeihung bitten konnte. Ich wollte ihm einen Brief schreiben und mich vergewissern, dass er sich den Vorfall im Schloss nicht zu sehr zu Herzen genommen hatte.
Der Anblick seines Grabs hatte mich ziemlich mitgenommen. Ich war zu barsch zu ihm gewesen.
Außerdem würde ich herausfinden, ob ich es tatsächlich willentlich beeinflussen konnte, wo die Dinge, die durchs Feuer gingen, im Cinerarium wieder auftauchten.
Ich stieg aus der Dusche, zog mir meinen Bademantel an und ging wieder in mein Zimmer, ohne mir die Haare zu trocknen. Ich setzte mich an den Schreibtisch und beobachtete die Tropfen, die auf die Platte fielen.
Ich nahm ein weißes Blatt und den Füllfederhalter, den Christine mir zum
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