Ascheträume
Luft. Wenn ich Nate das nächste Mal traf, würde ich nicht mehr so nett sein. Und ich würde auch keine Angst mehr haben, ihn zu berühren. Sollte ich je etwas für ihn empfunden haben, so waren diese Gefühle nun genauso begraben wie sein Körper.
Ich wusste nicht, was tun. Die einzige Alternative dazu, einfach stehen zu bleiben, war zu laufen, also lief ich.
Ziellos rannte ich in eine Richtung, nur weg von diesem Ort. Ich schlang die Arme um mich und durchquerte die Wüste. Ich würde nur noch eine Weile warten müssen, dann wäre ich wieder zurück im alten Kino. Ich wusste nicht, was ich Charles erzählen würde – wahrscheinlich nichts. Ich könnte ihm sagen, dass es dieses Mal nicht geklappt hätte, dass ich einfach nur eingeschlafen wäre. Aber ich hatte jetzt wirklich keine Lust, darüber nachzudenken. Während ich durch die Dünen lief, wollte ich mich einfach nur abreagieren.
Ich erinnere mich nicht, wie viel Zeit vergangen war; vielleicht nur ein paar Minuten, vielleicht eine Stunde, jedenfalls zog ganz plötzlich ein Sturm auf.
Eine Bö traf mich im Rücken.
In der Wüste erhob sich ein starker Wind. Die Asche wurde an den Dünen aufgewirbelt wie davonfliegende Insekten.
Ich kniff die Augen gegen den Staub zusammen und musste mir den Ärmel vor den Mund halten, um überhaupt noch atmen zu können.
Der fahle Mondschein, der immer über dem Cinerarium schwebte, wurde allmählich ausgelöscht, verdunkelt von riesigen Wolken, die durch die tosende Luft jagten. Alles war voller wirbelndem, feinem Staub. Nie zuvor hatte ich ein so machtvolles Schauspiel erlebt.
Auf der Suche nach einem geschützten Ort drehte ich mich um mich selbst. Der Sturm schlug mir entgegen, und ich musste mich ducken, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Erst dann begriff ich, woher der ganze Tumult rührte. In der Ferne war deutlich eine Art Tornado zu erkennen, der sich direkt über dem Luna Dark gebildet hatte.
Meine Gedanken waren schneller als meine Beine. Penny! Susan! Ich richtete mich wieder auf und schleppte mich in Richtung der Windhose. Ich kam nur äußerst mühsam vorwärts, und je weiter ich ging, desto kraftvoller hielt mich der Wind zurück. Die Asche wurde immer dichter und schien mich zu verschlingen. Es kam mir vor, als würde ich von Millionen kleiner Fliegen angegriffen. Auch der Krach war ohrenbetäubend. Das Getöse pflanzte sich fort und durchfuhr die Wüste in allen Richtungen.
Ich riss mich zusammen und rannte. Gierig tasteten meine Füße über den Grund. Ich musste die Augen schließen und blind weiterlaufen. Erst nach ein paar Minuten, als ich in der Nähe des ehemaligen Rummelplatzes war, machte ich sie wieder auf.
Der Tornado war nur noch etwa hundert Meter von mir entfernt. Es war beeindruckend, ihn so nah von unten zu sehen – eine schwarze Säule, die ausscherend um sich selbst rotierte. Ein Titan der Zerstörung.
Ich staunte, als die Windstärke nachließ, kaum dass ich das Tor passiert hatte. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, mich festhalten zu müssen, um nicht in den Sog zu geraten, aber stattdessen konnte ich fast ganz normal gehen.
Ich sah Susan und Penny, die sich hinter einem Kiosk versteckten. Susan kniete und drückte die Kleine fest an sich. Clayton war nicht bei ihnen.
Ich riss die Augen auf – Clayton stand im Auge des Tornados! Mittendrin! Ich sah ihn hinter einer Wand aus Asche, wo er schreiend mit den Armen wedelte. Sein Mund stand offen, seine Kehle war angespannt, aber der Lärm war zu groß, um ihn zu hören.
In diesem Moment sprang er. Seine Füße lösten sich vom Boden, und ich sah, wie er in den Strudel hineingezogen wurde. Er hob sich in die Lüfte, als würde das Gesetz der Schwerkraft nicht für ihn gelten. Er flog immer weiter hinauf und war immer schwerer zu erkennen. Meine Verwunderung wurde noch größer. Aus dieser Perspektive konnte ich sogar sehen, wo der Tornado endete: im schwarzen Mond.
Das war es also! Clayton kehrte zurück, wie ich es in der alten Handschrift gelesen hatte. Er durchlief den Tunnel in der entgegengesetzten Richtung und kehrte in seinen Körper zurück.
Mit einem dunklen Blitz wurde er von dem großen Loch verschluckt, und der Tornado war mit einem Schlag vorüber. Die Asche spritzte ein letztes Mal auf, der Wind legte sich.
Die Luft wurde ruhig und feiner dunkler Schnee begann sich über das Cinerarium zu legen. Allmählich kehrte der Schimmer des Mondes zurück und beschien die Dünen mit seinem fahlen Schein, am Ende
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