Ash Mistry und der Dämonenfürst (German Edition)
Menschen ihre Treue angezweifelt. Hatte sie den Annäherungsversuchen Ravanas nicht doch nachgegeben? Die Gerüchte verstummten einfach nicht und ein König, der den Respekt seiner Untertanen verliert, verliert alles. Und so verbannte Rama seine eigene Frau. Nach allem, was er getan hatte, nach allem, was er durchlitten hatte, nach den Millionen Toten, konnte er sie doch nicht haben. Das war der Preis, den er für seine Krone zahlte, der Preis, mit dem er den Vishnu-Aastra erweckt hatte. Rama gewann ein Königreich, doch verlor alles, was ihm lieb und teuer war.«
Ash schaute auf die goldene Pfeilspitze. Rama hatte die Frau, die er liebte, verloren. Und doch, das wusste Ash, war der Preis, den er für den goldenen Pfeil zahlte, sogar noch höher. Plötzlich fühlte er sich kalt und schwer in seiner Hand an. Er hatte das Ding erst seit ein paar Stunden und schon hatte es zwei Menschen das Leben gekostet. »Nehmen Sie ihn.«
Lange und eindringlich musterte Rishi den Aastra und seine Finger umklammerten den Stab so fest, dass das Holz knarrte. »Ich bin ein Priester, ich darf keine Waffe tragen.«
Ash steckte die Spitze weg.
Am Ufer liefen einige Pilger die Ghats hinab – die steinernen Stufen, die überall in Varanasi verliefen und leichten Zugang zum Fluss ermöglichten, zu dem die Menschen aus den Tempeln, Aschrams und alten Palästen strömten. Die prächtigen Gebäude hatten schon bessere Zeiten erlebt, bessere Jahrhunderte, aber dies war Indien. Das Uralte starb hier nie. An den Palastwänden hingen Plakate, die für hiesige Cafés und Restaurants oder irgendeinen Arzt oder sonst was warben. Ein Haus aus rosa Steinen war mit grellbunten Porträts der Götter zugekleistert. Ash sah den blauhäutigen Krishna, der die Flöte spielte. Ganesha mit dem Elefantenkopf. Und Shiva, der mit ausgebreiteten Armen und einem erhobenen Fuß zum Tanz ansetzte.
Rishi folgte Ashs Blick. »Musik würde einen Aastra von Krishna erwecken – je schöner die Melodie, desto größer wäre seine Macht. Tanzen wäre ein Opfer an Shiva.«
»Dann wollen wir hoffen, dass der hier nicht Shiva gehört«, meinte Ash. »Ich tanze so gut wie ein dreibeiniges Nilpferd.« Dann entdeckte er, in den Schatten verborgen, eine weitere Gestalt. »Und sie?«
In der Ecke des Gebäudes stand eine Steinstatue, drei Meter groß und teils versteckt, als würde die Dunkelheit ihr am besten gefallen. Der Körper war ein ausgezehrtes Skelett und gehörte einer Frau, deren schwarze Haut sich so sehr spannte, dass jede Rippe hervorstach. Um ihren Hals baumelte eine Kette aus Totenköpfen und ihr Rock bestand aus abgetrennten Armen.
»Die Göttin Kali«, sagte Rishi. »Was ihr die größte Freude bereitet, ist der Tod.«
Alle zehn Arme Kalis waren ausgestreckt und in fast jeder hielt sie eine Waffe: einen Speer, ein Schwert, eine Axt, einen Strick, einen mächtigen Bogen und einen Köcher voll langer Pfeile. Mit einer Hand umklammerte sie einen abgehackten Kopf an den Haaren und abstoßende Rakshasas wanden sich mit angstverzerrten Gesichtern zu ihren Füßen. Böse stierte sie aus aufgerissenen Augen in die Welt hinaus, mit roter, aus dem Mund hängender Zunge gierte sie nach Blut. Ash spürte ihren Blick auf sich brennen, als sie vorüberglitten.
Am Fluss standen Männer, die in Tassen Wasser schöpften und den Göttern Trankopfer darbrachten, während andere Blumengirlanden auf die Wellen legten. Etwas weiter weg beobachtete Ash einen alten Mann, der immer wieder untertauchte, um seine Sünden abzuwaschen.
Aus einem meterhohen Haufen aus Asche und Holzklötzen, der am Ufer aufgetürmt war, stieg Rauch auf und Ash betrachtete den bröckelnden Stapel genauer. Dies war der Grund, weshalb die vielen Pilger hierherkamen: um zu sterben und am Ganges eingeäschert zu werden.
Mitten in den schwelenden Holzstücken lagen die Überreste eines Menschen. Hatte eine Familie hier ihren Vater oder ihre Oma verbrannt und war dann einfach abgehauen?
Aber wenigstens hatten sie sich verabschiedet. Wenn er und Lucky doch nur die Chance gehabt hätten, von Onkel Vik und Tante Anita ebenfalls Abschied zu nehmen, vielleicht wäre dann kein so riesiges Loch in seiner Brust.
»Sie sind nicht fort, Ashoka«, sagte Rishi, dessen durchdringende blaue Augen hinter den kaum geöffneten Lidern aufblitzten.
Hatte Rishi seine Gedanken gelesen? Welche Kräfte mochte der Sadhu sonst noch haben? »Sie sind tot«, sagte Ash. »Mehr fort können sie ja kaum sein.«
»Sie kommen
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