Ash Mistry und der Dämonenfürst (German Edition)
nicht einmal mehr blinzeln.
»Sag es mir, Ashoka.«
Seine Tante hatte ihn immer Ashoka genannt – sie war nun einmal ein bisschen altmodisch, was solche Dinge betraf. Niemand sonst hatte das Recht, ihn so anzusprechen – nur sie. Trauer, Schmerz und Wut kochten in Ash hoch und befreiten ihn plötzlich aus Parvatis Bann. Ash keifte: »Ich habe nichts zu sagen!«
Auf der Stelle erlosch das grüne Leuchten und Parvati war wieder nur ein Mädchen, das auf der Treppe stand. »Es tut mir leid. Das hätte ich nicht tun sollen.«
Ash stieß lange die Luft aus und massierte sich die Schläfen, um den Nebel loszuwerden, der noch immer wie eine Wolke in seinem Kopf hing. »Was war das denn? Magie?«
»Kaum der Rede wert. Nur etwas, das ich kann. Manchmal.«
Ash ließ sich gegen die Wand auf die Stufe sinken und Parvati setzte sich ein paar Stufen über ihm. Wieder spielte sie mit dem silbernen Medaillon.
»Was ist das eigentlich?«, fragte Ash. Immer fingerte sie an dem Ding herum. »Irgendwas Wichtiges?«
Parvati kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, dann nahm sie es plötzlich ab und drückte es ihm in die Hand. »Es ist wohl das Beste, wenn du es weißt.«
Der Anhänger war alt, so viel stand fest, und er musste einmal mit Juwelen besetzt gewesen sein, weil in der Oberfläche eine Reihe von leeren Löchern und Fassungen waren. Die Kette war dünn und zart, fast so fein wie ein Faden aus Seide. Jemand hatte sich viel Mühe damit gemacht.
Ash öffnete das Medaillon und sah die Gesichter von zwei Personen. Es waren Porträts, kaum höher als drei oder vier Zentimeter. Das Bild zur Linken war völlig zerkratzt, sodass nur noch ein Überbleibsel von blauer und gelber Farbe zu sehen war, vermischt mit ein bisschen Grün, wo die Farben sich vermengt hatten. Das rechte Porträt zeigte eine junge Inderin Anfang zwanzig. Sie trug einen Seidenschal und stützte den Kopf auf eine mit Edelsteinen geschmückte Hand. In einem Nasenflügel glitzerte ein Diamant, während sie Ash träge aus ihren großen grünen Augen anblickte.
»Das bist du«, meinte Ash. Doch zwischen dem Bild und dem Mädchen vor ihm lag ein Altersunterschied von zehn Jahren. »Wie ist das möglich?«
Parvati nahm ihm das Medaillon wieder ab und schloss es. »Ich bin zur Hälfte ein Mensch, Ash. Ich altere genau wie du.«
»Aber sie ist älter als du jetzt. Alterst du rückwärts?«
»Nein, ich werde älter, wie jeder Mensch, bis ich eine alte Frau bin. Wenn ich sterbe, werde ich sofort wiedergeboren.« Sie klang müde, sogar traurig. »Wie alle Rakshasas.«
»Klingt gar nicht so übel.« Was würde er – oder jeder andere Sterbliche – dafür geben, wenn er dazu in der Lage wäre, ewig zu leben?
»Wenn du es so oft gemacht hast wie ich, wird dir klar, dass es ein Fluch ist.« Sie seufzte. »Und nicht einmal durch den Tod kann ich ihm entkommen.«
»Wie meinst du das?«
»Am Anfang meines neuen Lebens bin ich immer fest davon überzeugt, dass ich ein Mensch bin. Und dann, wenn ich ins Teenageralter komme, manifestiert sich meine Rakshasa-Seele und die Albträume und Erinnerungen kommen zurück. Das hier ist immer das erste Anzeichen.« Sie deutete auf ihre Augen. »Sie hören auf, menschlich zu sein, und werden zu Schlangenaugen. Dann muss ich mein Zuhause verlassen, weil ich zu einer Gefahr werde für die Menschen, die ich liebe. Ich bin ein Monster. Ein Monster, das unter Menschen lebt.«
Ash betrachtete sie stumm. Das also war ihr Leben, von allen, die sie kannte, gefürchtet und gemieden zu werden, für immer und ewig. Parvati legte sich die Kette wieder um den Hals.
»Und wer war das in dem anderen Porträt?«
»Savage.«
»Was?« Warum ausgerechnet der? Ash fuhr hoch, unfähig, seine Wut in Zaum zu halten. »Du hast Savage gekannt?« Er kam sich bitter verraten vor. Von allen möglichen Kerlen, die sie mit sich in ihrem Medaillon herumtragen könnte, war es ausgerechnet Savage!
»Das war vor langer Zeit, Ash.«
»Und wie gut hast du ihn genau gekannt?«
Parvati antwortete mit eisiger Kälte. »Ich wüsste nicht, was dich das angeht.«
»Sein Bild ist in deinem Medaillon«, blaffte Ash, noch immer rasend vor Zorn. »Der Platz gehört normalerweise besonders guten Freunden , oder nicht?«
»Hör zu, Ash.« Parvati nahm seine Hand. »Hör mir zu.«
Es dauerte einige Minuten, bis Ash sich beruhigt hatte, aber schließlich setzte er sich wieder und lehnte sich gegen die Wand. Trotzdem wurde er den Gedanken an das Porträt in ihrem
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