Ash Mistry und der Zorn der Kobra (German Edition)
galten als Legenden. Es sollte sie eigentlich gar nicht geben. Doch jetzt trank Ash mit zwei von ihnen Tee.
Parvati legte Khan die Hand auf den Arm. Die Art, wie sie den Tiger-Dämon anlächelte, brachte Ashs Blut zum Brodeln. »Khan und ich kennen uns schon ewig. Er wird uns helfen.«
Khan grinste. »Das war gegen Sikander. Parvati hat damals die linke Flanke der Fußtruppen des Maharadschas angeführt und ich gehörte zur fürstlichen Leibwache.« Er streckte die Arme aus und grinste noch breiter. »Das war ein Kampf! Nichts ist aufregender als ein Elefantenangriff. Und ganz egal, was in den ganzen Geschichtsbüchern steht – Sikander hat sich damals in die Hosen gemacht.«
Sikander? Ash runzelte die Stirn. War das nicht der indische Name für …
»Ihr habt gegen Alexander den Großen gekämpft? Im Ernst? Wie war er so?«
Khan streckte die Hand aus und hielt sie auf Schulterhöhe. »Kleiner als man ihn sich vorstellt und, zumindest an diesem Tag, verzweifelt auf der Suche nach frischer Unterwäsche.«
Ash starrte die zwei an. Khan prahlte, was das Zeug hielt, und trotzdem musste Ash zugeben, dass das eine ziemlich coole Geschichte war. Und er mochte Geschichte, dank Onkel Vik. Sein Onkel hätte einiges darum gegeben, hier und jetzt mit jemandem zusammenzusitzen, der Geschichte hautnah miterlebt hatte, statt nur in Büchern darüber zu lesen und zu spekulieren. Und diese beiden taten so, als wäre es nichts Besonderes, solche Legenden gekannt zu haben. Doch wenn man selbst eine unsterbliche Legende war, war es womöglich keine große Sache mehr, gegen Alexander den Großen in die Schlacht gezogen zu sein.
Parvati legte ihr Handy auf den Tisch und zeigte auf die Landkarte auf dem Display. »Von der Seitengasse hier kommt man ganz leicht in Montys Wohnung. Sie liegt in einer Sackgasse, daher kommt fast nie jemand vorbei.«
»Irgendwelche Besucher, von denen wir wissen sollten?«, fragte Ash.
»Wie Savage?«, erwiderte Parvati. »Fragen wir Monty einfach. Höflich.«
»Höflich?« Ash grinste. »Du bist der fleischgewordene Terror, Parvati.«
Parvati hielt inne und sah Ash konzentriert an. »Interessante Wortwahl, Ash. Wie kommst du darauf?«
»Keine Ahnung. Schätze, das ist mir gerade eingefallen.« Ihren Gesichtsausdruck konnte Ash bestens deuten: Sie war besorgt. »Warum fragst du?«
Parvati zuckte mit den Schultern. »Das habe ich schon einmal gehört, vor langer Zeit.«
Kurz darauf kletterten sie über eine große Mülltonne, die den Eingang zu der kleinen Seitengasse verdeckte. Über ihren Köpfen ratterte ein dampfender, fettiger Küchenabzug und zu ihren Füßen lagen schwarze Müllsäcke verstreut, die nach verrottendem Gemüse stanken. Ein räudiger Hund riss einen der Beutel auf und schnupperte an dem hervorquillenden Inhalt. Khan stieß ein kehliges Knurren aus, woraufhin der Hund wimmernd floh.
»Ich mag keine Hunde«, sagte Khan.
»Da oben«, sagte Parvati, ohne darauf einzugehen.
Sie deutete auf ein einzelnes Fenster mit Blick auf die Gasse, allerdings war es aus dickem Milchglas und lag ungefähr vier Meter über dem Boden.
Khan zuckte mit den Schultern. »Ist das ein Problem?«
»Nein«, sagte Ash. Er trat ein Stück zurück und peilte das kleine Fenster an. Mit geschlossenen Augen konzentrierte er sich ganz auf sein Inneres und spürte, wie sein Geist und seine Sinne in einen dunklen Strom abtauchten, irgendwo dorthin, wo seine Seele liegen mochte.
Vorfreude durchzuckte ihn, als die übernatürliche Energie in ihm anschwoll. Es war, wie auf einer Welle zu reiten. Nein, wie auf einem Tsunami zu reiten.
Ash schlug die Augen auf und blickte sich um.
Jeder seiner Sinne lief auf Hochtouren. Er konnte selbst die Maserung in den Backsteinen sehen, jeden Pinselstrich auf der Farbe, die die Mauern bedeckte. Jeden Geruch nahm er im Detail wahr, wie schwach er auch sein mochte: die faulenden Salatblätter, die den Boden bedeckten, das abgestandene Regenwasser in den gurgelnden Regenrinnen, den süßlich-beißenden Gestank von Benzin.
Er blickte zum Fenster hinauf und sprang. Eine große Herausforderung war es nicht – er spannte kaum seine Muskeln an, schon flog er in die Höhe. Einen Augenblick später kam er auf dem schmalen Sims auf, wo er vier Meter über der Erde auf den Zehen balancierte. Kurz kauerte er sich vor das Glas und presste das Ohr dagegen. Nichts.
Ash knickte die Finger zu einer Klaue ab und schob die Faust durch die Scheibe. Er spähte in die Dunkelheit, die für
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