Asharas Rückkehr - 19
war mit einem schaukelnden Schild gekennzeichnet, auf das ein hirschähnliches Tier gemalt war. Sie hielten ihre Pferde vor dem Gasthaus an, und ein Junge kam herausgerannt, um sie zu begrüßen. »Hallo, Rafaella. Schön, dass du wieder da bist!« »Danke, Valentin. Du bist seit meinem letzten Besuch ein paar Zentimeter gewachsen.« Der Junge streckte die Brust heraus und grinste. »Stimmt.
Ich trage jetzt Tomas’ abgelegte Kleider auf, aber seine alten Stiefel sind mir schon zu klein.«
»Und wie geht es deinen Eltern?«
»Der letzte Winter war schwer für Mama - ihre Gelenke taten fürchterlich weh. Aber als es wärmer wurde, ging es ihr wieder besser, wie immer. Und Papa ist Papa. Kommt herein. Ich bringe die Pferde in den Stall, und Mama hat gerade das vordere Schlafzimmer sauber gemacht.«
Margaret stieg ab, ihr drehte sich der Kopf. Sie holte einige Male tief Luft und wartete, bis die Benommenheit vorüberging. Es war ihr in der letzten Stunde immer schlechter gegangen, aber sie hatte Rafaella nichts davon gesagt. Sie wollte die Nacht nicht unterwegs verbringen! Sie wollte ein Bad und ein Bett! Und Abendessen. Nein! Beim Gedanken an Essen wurde ihr erneut übel. Sie brauchte nur ein bisschen Schlaf, dann ging es ihr wieder besser.
In dem Gasthaus gab es eine Schankstube mit tiefen Balken. Mehrere Männer in groben Jacken tranken Bier aus Krügen und saßen leise redend an Tischen zusammen. Margaret hörte ihre Stimmen, aber ihr Dialekt war so ausgeprägt, dass sie ihnen nicht folgen konnte. Sie sahen sie mit nur mäßiger Neugier an. Zwei oder drei grüßten Rafaella freundlich, und Margaret war froh, dass ihre Führerin hier wohl bekannt war.
Die Stube war rauchig von dem großen Kamin, und der Geruch von brennendem Holz und Bier überwältigte Margaret beinahe. Sie zwang sich, gerade zu stehen und nicht auf das Schwindelgefühl zu achten. Sie hatte sich heute schon einmal blamiert, und sie beabsichtigte nicht, es ein zweites Mal zu tun. Sie war froh, als sie den Schankraum verließen und über eine schmale Treppe in das Obergeschoss stiegen, wo man sie zu einem großen, luftigen Zimmer führte.
Margaret sank aufs Bett. Entfernt hörte sie die Stimmen von Rafaella und einer anderen Frau, wahrscheinlich Valen
tins Mutter, aber sie war zu schwach, um dem Gespräch zu folgen. Kräftige Hände zerrten ihr die Stiefel von den Füßen, und sie spürte, wie ihr die Jacke über den Kopf gezogen wurde. Sie wollte protestieren, aber sie brachte die Worte nicht heraus.
»Ich brauche einfach nur Schlaf«, murmelte sie und schloss die Augen. Eine verschneite Ebene erstreckte sich von Horizont zu Horizont, und der Himmel war weiß von Wolken. Der Geruch der Kälte schien ihre Glieder gefrieren zu lassen. Die Wolken teilten sich, und ein weißer Mond schien für einen Augenblick vom Himmel. Zwei Frauen kamen auf sie zu, sie waren sich ähnlich und gleichzeitig verschieden. Beide hatten rotes Haar, aber das der einen war heller als das der anderen. Sie bewegten sich wie eine Person, ihre schlanken Arme schwangen im Takt, ihre langen Beine bewegten sich mühelos über die schneebedeckte Landschaft. Ihre Gewänder waren weich und fließend und weiß wie der Schnee, und ihre Haare hingen ihnen lose über die Schultern.
Die Frauen sahen sie aus goldgesprenkelten, bernsteinfarbenen Augen an und streckten weiße Hände nach ihr aus. Sie schreckte vor ihrer Berührung zurück. »Kind«, sagte die eine. »Marja«, sprach die andere. Margaret wusste, sie waren Schwestern, und eine war ihre Mutter, aber ihr Äußeres war so ähnlich, dass sie nicht entscheiden konnte, wer wer war.
Plötzlich erschien ein Mann zwischen ihnen, stark und dunkelhaarig. Er legte seine Hände auf die Schultern der Frauen und drückte sie auseinander. Dann schien er größer zu werden, bis sein Kopf an den Wolken am Himmel streifte. Margaret sah ihren Vater, wie sie ihn nie gekannt hatte, zweihändig und kraftvoll, ohne Narben, gut aussehend. »Ich habe versucht, dich zu warnen! Ich habe dir gesagt, dass ein wilder
Telepath eine gefährliche Sache ist! Warum hast du nicht auf mich gehört? Steh auf. Hör auf, vor deiner Pflicht wegzulaufen! Versuche nicht weiter, deiner Gabe aus dem Weg zu gehen!« Margaret setzte sich im Bett auf, in ihrem Kopf hämmerte es. Sie starrte auf die weiß getünchten Wände und die schweren Holzbalken über ihr. Dann erinnerte sie sich, dass sie in dem Gasthaus mit dem gemalten Hirsch über der Tür war und nicht in einer
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