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Ashby House

Ashby House

Titel: Ashby House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V Ludewig
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erfolgreichen Bestehen eines prüfenden Blickes in den Spiegel hüpfte sie frohen Mutes die Treppe hinab und erstarrte beinahe vor Schreck, als sie sich einer Gestalt gegenübersah, wie sie nur in Grand-Guignol-Horrorfilmen und   – dies würde sie in den nächsten Tagen zu akzeptieren lernen   – in Ashby House vorstellbar war. Vor ihr stand, mit leicht hängenden Schultern, eine in alle Schattierungen von Anthrazit gekleidete Frau, die sie fast um Haupteslänge überragte. Sie war ungeschminkt, trug ihr aschgraues Haar in einem Zopf um den Schädel gewunden und strahlte etwas ungemein Dumpfes, Verhärtetes aus. Eine Erscheinung wie Mrs.   Danvers in Daphne DuMauriers ›Rebecca‹, nur ohne jeden Funken dramatischen Glamours. Neben ihr stand ein abgewetzter, ehemals schwarzer Lederkoffer, nicht größer als eine Arzttasche.
    »Ein Hund war hinter mir her, und die Tür war nicht verschlossen. Marsh. Rose Marsh. Ich bin die Köchin.« Sie hielt Laura die rechte Hand hin.
    Zögerlich ergriff diese die kalte Klaue. »Ah, ja. Rose Marsh.«
    Der schale Geruch von Mottenkugeln und etwas Undefinierbarem (Hautschuppen? Ungewaschene Haare? Sauerkraut?) umwaberte die grobschlächtige Gestalt. In dem ovalen Spiegel, dem die beiden gegenüberstanden, wirkte der Anblick der kantigen Riesin und der zartgliedrigen Laura noch unheimlicher. Obwohl alles andere als ängstlich veranlagt, musste Laura schlucken. Sie wich einen Schritt zur Seite, aus der Reichweite des Spiegels.
    Mit Miss Marshs Einzug schien sich ein weiterer düsterer Schatten auf Ashby House zu legen. Doch Laura Shalott wäre nicht Laura Shalott gewesen, wenn es ihr nicht gelungen wäre, die Ströme negativer Energie umzulenken und für sich das Beste aus dem noch jungen Tag zu machen.
    »Steeeeeerpike!«, rief sie durch das Haus, und das »-pike« knallte wie ein Peitschenhieb. »Wenn Sie der Köchin bitte ihren Arbeitsplatz zeigen würden!« Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand ohne einen Blick zurück in der Bibliothek.
     
    Die Aufzeichnungen Deborah Ashbys begannen im Juni 1849 und endeten zwanzig Jahre später am 30.   Dezember 1869.   Aus den Zahlenkolonnen war nicht schlau zu werden. Die Dokumentation des I-Wertes der Kinder war in den ersten beiden Jahren mit dem Eintrag »Stoff gemäß Mills« versehen worden. Ab 1851 änderte sich der Eintrag in »Stoff gemäß Gulch«. Zuletzt, im Jahr 1869, wurde »Durbeyfield« verwendet. Was für einen Stoff hatte man den Kindern verabreicht? Und mit welchen Resultaten außer dem Ansteigen eines gewissen I-Wertes ?
    Laura nahm sich die Hefte systematisch vor und machteeine erschreckende Entdeckung. Keine der Versuchsreihen hatte länger als fünf Jahre gedauert. Die einzige Ausnahme bildete jene von Lucy Gray, deren blonde Haarsträhne Platz in einem der Notizbücher gefunden hatte. Was war aus Lucy nach dem 30.   Dezember 1856 nach fast siebenjähriger Behandlung geworden? Was aus Hindley, aus Edward? Was hatte Deborah Ashley den Kindern angetan, und wie sollte Laura dies in Erfahrung bringen?

KAPITEL 5
    Wenn bisher der Eindruck entstanden ist, Lucille Shalott sei erst seit ihrem Unfall übellaunig und im Umgang mit ihrer Schwester harsch geworden, so muss dieser Eindruck korrigiert werden. Lucille ist noch nie ein angenehmer Mensch gewesen, auch wenn ihr öffentlich propagierter Einsatz für diverse Charitys mitunter ein anderes Bild vermittelt. Lucille leidet unter einer Blockade des Glücksempfindens. Jeder Schritt auf der Leiter ihrer Karriere hat ihr ein Höchstmaß an Anstrengung abverlangt, und sie hat noch jeden Mitarbeiter spüren lassen, wie schwer sie diesen Einsatz bezahlt, der ihr ein Leben im Luxus ermöglicht.
    Popstars, Topmodels, Filmgrößen und die Mitglieder der Königshäuser dieser Welt schätzen die Zusammenarbeit mit der visionär begabten und handwerklich unerreichten Fotografin, aber alle, die im Rang unter ihr stehen, zeichnen ein anderes Bild von ihr. (Wenn man von Naomi Campbell als »bestialisch jähzornig« bezeichnet wird, dann gewährt das einen Einblick in das Ausmaß des cholerischen Gemüts und lässt darauf schließen, wie sich erst die Assistenten, die Beleuchter, Stylisten und Make-up-Künstler fühlen müssen.) Selbst die Personal Assistants der Stars wappneten sich mit Wodka und Xanax, wenn für ihre Klienten ein Shooting mitLucille Shalott anstand. Die Assistentin einer dreifachen Oscar-Gewinnerin 1 (dazu noch deren Cousine) verbrachte nach einem

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