Ashby House
mehrtägigen Shooting, in dem ihre Arbeitgeberin die wichtigsten Hitchcock-Heldinnen darstellte (Kim Novak, von Lucille verachtet, auslassend), die nächsten vier Monate im Alkoholentzug, ohne je Alkoholikerin gewesen zu sein. »Ich musste nur weg – irgendwohin, wo kein Telefon für mich klingeln konnte.«
Doch die Chefetagen der Hochglanzmagazine schert nicht die Personalführung, wenn die Fotos der Künstlerin regelmäßig die Auflagen in die Höhe treiben.
Am Anfang: Debbie Harry in einer überdimensionalen Champagnerschale, bekleidet mit nur ein Paar Rollerskates und kirschenförmigen Zopfhaltern. Der ›Rolling Stone‹ war nach drei Tagen ausverkauft – Grundstein für eine Karriere, die keine Tiefpunkte kennen sollte. Julia Roberts in der Rolle aller Figuren des ›Zauberers von Oz‹, Nicole Kidman auf den Spuren der Garbo von Mata Hari über Anna Karenina bis hin zu Königin Christine.
Neben den groß angelegten Fotoproduktionen, die Unsummen für die Ausstattung verschlangen und sich wegen ihrer Spektakularität dennoch rechneten, waren es aber vor allem die »Nacktporträts«, die Lucilles Ruhm besiegelten. Es gab Stars, die diese Serie scheuten, doch andere, die mutig genug waren, sich ungeschminkt der Großaufnahme zu stellen. Sie riskierten Entlarvung. Lucille besaß die Gabe, durch eine Frage, eine Geste oder eine Provokation in ihren Subjekten Reaktionen hervorzurufen, die auf dem Foto eine ikonische, mitunter monströse Qualität annahmen.
Als Madonna fassungslos vor dem hart ausgeleuchteten Porträt stand, in dem ihr Blick kalt, ihr Haar stumpf und ihre Seele lange verstorben wirkten, und »an artistic smash« ausstieß, auf den Louboutin-Hacken kehrtmachte und die ihr gewidmete Vernissage verließ, war Lucilles Ruf zementiert. Selbst jene Stars, die vor einer vergleichbaren Bloßstellung zitterten, kamen danach nicht mehr umhin zuzustimmen, dass ein »Nacktporträt« von Lucille Shalott den Höhepunkt ihrer Karriere bedeuten konnte. Was in den Händen dieser Ausnahme-Fotokünstlerin entstand, waren keine Fotos, sondern Bilder, Bildnisse für die Ewigkeit: echt und jung aussehend, auch dann noch, wenn Botox, Lifting oder Aufspritzung jede menschliche Regung aus einem Gesicht getilgt hatten.
Seit dem Unfall hat sich Lucille Shalott fast bis zur Unsichtbarkeit zurückgezogen. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand, besser gesagt: ruhen auf zwei Rädern. Es sind ihre funktionslosen Beine.
Lucille hatte schon immer Verständnis für Diven, die sich zurückziehen. Auch in Marlene Dietrichs Fall war das Versagen der Beine ausschlaggebend für ihren Rückzug. Die Dietrich legte sich ins Bett und existierte nur noch auf Fernsehschirmen, in den Programmkinos von Universitätsstädten und am Telefon. Lucilles anderes Idol gab ein noch schlechteres Bild ab. Die Garbo hatte 1941 ihren letzten Film gedreht und war doch bis zu ihrem letzten Tag fotografiert worden. Es war ihr nicht gelungen, vergessen zu werden. Noch vierzig Jahre nach der Berufsaufgabe waren ihr die Paparazzi augfescheucht hinterhergerannt. Vielleicht verstand sie das als Sport, der ihre ausgiebigen Spaziergänge auflockerte. Jedenfalls ist nichts davon überliefert, dass die Garbo an Osteoporose litt – viel frische Luft, gesundeErnährung und Bewegung wirken in manchen Fällen Wunder.
Lucilles Lieblings-Garbo-Anekdote war allerdings auch eine Metapher auf das Warten. Während Marlene ihren Tod jahrelang bettlägerig herbeisehnte, gelang es der toten Greta nicht, unter die Erde zu kommen. Erst mehr als zehn Jahre nach ihrem Ableben wurde ihre Urne nach Schweden überführt, wo sie im kleinsten Kreis beerdigt wurde. Und selbst in diesem Moment waren die Paparazzi noch aufmerksam.
Lucille hatte ihr Verschwinden aus Hollywood genauestens geplant. Sie hatte die Damen der Townsend-Agentur beauftragt, und die hatten für sie eine Reiseroute ausgearbeitet, die auch noch den letzten Reporter abzuschütteln vermocht hatte. Den Privatjet zu nehmen stand nicht zur Debatte. Kein Flughafen der Welt hätte die Information zurückgehalten, dass die tragisch verunglückte Starfotografin auf Reisen war. So hatte Privatermittlerin Kelly Garrett stattdessen einen Krankenwagen ausgestattet wie ein First-Class-Abteil und ihn persönlich nach San Diego chauffiert. Lucille und Laura waren bis zur Unkenntlichkeit geschminkt und verkleidet nach New York weitergeflogen und hatten dort für eine Nacht im »Chelsea Hotel« eingecheckt – an
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