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Ashby House

Ashby House

Titel: Ashby House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V Ludewig
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mich hören: Ich schicke den Hund!«
    Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Die dritte Schnur war abgerollt, und als sie gerade das Ende mit der nächsten Schnur verknoten wollte, spürte sie einen Ruck in der Leine. Hatte sie sich getäuscht? Nein, ein weiterer Ruck, gefolgt von noch einem. Steerpike signalisiert, dass der Hund ihn gefunden hat, war ihr erster Gedanke, doch gleich darauf durchzuckte sie ein anderer. Irgendjemand oder irgendetwas zieht am Ende der Schnur. Was, wenn es nicht Steerpike ist?Das Warten war pures Martyrium. Immer wieder stellte Laura sich die bange Frage, was da auf dem Weg zu ihr war. Sie wollte flüchten, nach einer Waffe suchen, aber sie war auch an den dunklen Raum gefesselt. Buchstäblich. Sie hatte Angst, das Band könnte reißen, wenn sie ihre Warteposition verließ, und so harrte sie aus, die Gedanken an Dämonen niederringend, mal mehr, mal weniger erfolgreich.
    Als sich endlich ein Lichtfleck im Dunkel behauptete, war die Sonne längst über die Glaskuppel gewandert, und die Dämmerung hatte über dem Meer eingesetzt. Rosagoldene Wolken zogen über Ashby House und tauchten den Ballsaal in ein surreales Licht. Instinktiv wich Laura einen Schritt zurück. Wer oder was auch immer sich auf sie zu bewegte, es war bei Weitem nicht so schlimm wie der dunkle Raum selbst. Oder doch? Und wenn es tatsächlich so schrecklich war wie das, was sich dort ihrer hatte bemächtigen wollen, dann würde sie rennen, rennen um ihr Leben.

KAPITEL 9
    Langsam war Lucille es leid, auf den schwarzen Bildschirm zu starren. Allem Anschein nach war die Kamera defekt und mit einer Fortsetzung der Berichterstattung nicht zu rechnen. Also spulte sie zurück und betrachtete die Erforschung des zweiten Geschosses ein zweites Mal, diesmal im Schnelldurchlauf. Zwar frustrierte es sie, dass sie nicht hatte dabei sein können, doch dann überwog der Besitzerstolz. Sie trank die Kamerabilder wie Champagner, zoomte Details heran, drückte die Pausetaste, um in Ruhe ein Möbelstück oder einen Teppich zu bestaunen. Der Anblick des Bodenfrieses brachte ihre Augen zum Glänzen. Das zweite Stockwerk war in einem viel besseren Zustand, als Hawkins es ihr angedeutet hatte, und weit weniger renovierungsbedürftig als das Erdgeschoss. Dieses Haus übertraf alle ihre Erwartungen und Träume. Sie hatte ihr Manderley gefunden, ihr Finisterre, Finistère.
    Als Lucille an der Stelle ankam, wo die Kamera ausfiel, spulte sie ein zweites Mal zurück. Zwei Details interessierten sie jetzt besonders. Der Lastenfahrstuhl im Anrichtezimmer war das eine. Wozu einen unansehnlichen Treppenlift installieren, wenn Ashby House bereits über einen Fahrstuhl verfügte? Dann spulte sie weiter und beobachtete, wie Laurain Höchstgeschwindigkeit, einer Zeichentrickfigur nicht unähnlich, durch den Ballsaal und die Dienstbotenquartiere mäanderte, bis sie vor einer Tür ankam, die offensichtlich von innen verschlossen worden war. Dieser geheime Raum erschien ihr geradezu ideal für die Umsetzung eines Plans, den sie schon seit Längerem schmiedete.
     
    Ein Augenpaar blitzte bernsteinfarben auf. Laura durchfuhr es eiskalt, doch dann stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus. Mowgli.
    Der Hund zitterte am ganzen Leib, aber trotzdem brachte er die Energie auf, beim Anblick von Laura freudig mit dem Schwanz zu wedeln.
    Steerpike sah mehr als mitgenommen aus. Er, der die längste Zeit in dem dunklen Raum verbracht hatte, war noch stärker unterkühlt als der Hund. Raureif hatte sich über sein Haar gelegt und schmolz jetzt in den letzten rosagoldenen Lichtern des Ballsaals.
    »Wohin um Gottes willen sind Sie verschwunden?«
    Steerpike stellte die Kamera ab, setzte sich kraftlos auf den Boden und verbarg das Gesicht in den Händen. Ungläubig schüttelte er den Kopf.
    »Kommen Sie, ich bringe Sie ins Warme.«
    Laura ergriff den Ellbogen des jungen Mannes und half ihm beim Aufstehen. Etwas Seltsames durchflutete die Region um ihren Solarplexus, ein Gefühl, das sie lange nicht mehr verspürt hatte. Sie konnte es nicht benennen, aber sie genoss seine Anwesenheit. Zärtlichkeit. Eine selbstlose Freundlichkeit des Herzens. Etwas, das in seiner Aufrichtigkeit ihrer Verzweiflung ebenbürtig war. Vielleicht sogar größer.
     
    Miss Marsh schaffte es, gleichzeitig Lauras Stirnwunde mit Jod abzutupfen, Tee für den ausgekühlten Steerpike aufzusetzen und ihren Feierabend einzuleiten, indem sie ihre Tasche packte. Die Geschwindigkeit ihrer Bewegungen stand

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