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Ashby House

Ashby House

Titel: Ashby House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V Ludewig
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riskieren.«
    Er atmete tief durch. »Wir können nicht wissen, was passiert wäre.«
    »Sicherlich nichts Gutes, so viel steht fest.« Sie nahm ihren ruhelosen Gang wieder auf. »Seit drei Tagen ist mir die meiste Zeit kalt. Ich friere, ich habe Albträume. Sie können sagen, was Sie wollen. Irgendetwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Ich kann nicht mehr.« Kraftlos sackte sie auf dem Sofa vor dem Kamin zusammen.
    »Warum bleiben Sie dann?«
    Es war die falsche Frage. Oder die richtige Frage. Es war, als habe er einen Auslöser betätigt. Die Erlebnisse der letzten Wochen prasselten auf Laura ein. Seit dem Unfall war alles immer schlimmer geworden. Jeder einzelne Tag hatte ihr enorme Kräfte abverlangt. Immer wieder hatte sie neue Energien mobilisieren müssen und war manches Mal überrascht gewesen, dass das Reservoir noch immer nicht erschöpft war. Immer wieder hatte sie einen Restfunken ihres Optimismus zum Glühen gebracht, doch jeder Vorrat ging irgendwann zu Ende. Ihre Tanks waren leer. Und jetzt war sie am Boden der Tatsachen angelangt, aufgrund einer simplen Frage: Warum bleiben Sie dann?
    Lauras Stimme zitterte. »Weil ich nicht weiß, wohin sonst.«
    Es war heraus. Mit dieser Äußerung und der Anerkennung ihrer Wahrheit ergriff ein Strudel von Trauer und Schmerz Besitz von ihr, die Schleusen öffneten sich, und sie begann zu weinen. So hart zu weinen, dass ihr Körper sich verkrampfte, dass es sie schüttelte, dass ihre Fingernägel sich in die Handinnenflächen eingruben und dort halbmondförmige Siegel setzten, dass ihre Haarsträhnen nass an ihren Wangen klebten, ihre Nase lief und das Schluchzen ihr fast den Atem nahm. Sie brachte nicht einmal mehr die Kraft auf, sich vor Steerpike zu schämen. Der Schmerz floss aus ihr heraus und badete sie, trug sie opheliengleich, schwemmte sie in die Ungewissheit, die keine Gnade kannte.
    Das Weinen ebbte auch nicht ab, als Steerpike sie bei den Schultern nahm und sanft auf das Bett drückte. Als er sich hinter sie legte und sie fest in eine Umarmung schloss, die die Illusion einer Heimat bot, wurde es noch schlimmer. Denn jetzt erst spürte sie physisch, was sie nicht besaß. Sie konntesich nicht länger vormachen, dass sie allein war. Sie war einsam. Ihr Weinen hörte erst lange, nachdem sie eingeschlafen war, auf.
    Erst als der Morgen dämmerte und er sich sicher war, dass er sie nicht aufwecken würde, deckte Steerpike sie fürsorglich zu und ließ Laura Shalott allein.

KAPITEL 10
    Über Nacht war das Wetter umgeschlagen. Die Temperaturen hatten sich in den frühen Morgenstunden dem Gefrierpunkt genähert, und das Klima war bedeutend milder als in den vergangenen Tagen. Als Laura leise die Haustür hinter sich zuzog, setzte ein Nieselregen ein. Sie verließ das Haus, sobald es draußen hell geworden war, ohne gefrühstückt oder nach ihrer Schwester geschaut zu haben. Der Gedanke, Steerpike über den Weg zu laufen, war ihr unangenehm.
    Sie hatte versucht, die Erinnerungen an ihren Ausbruch in der vergangenen Nacht zur Seite zu schieben. Es war ihr nicht gelungen. Sie war niemand, der weinte, um getröstet zu werden. Alleine zu weinen war befreiend. In den Arm genommen zu werden war ein Eingeständnis von Scheitern, ein Armutszeugnis, und sie schämte sich dafür. Ja, sie
war
einsam. Dass ein Fremder sie deswegen bemitleidete, machte die Einsamkeit noch größer.
    Um sich abzulenken, hatte sie eine Liste mit Aufgaben für den Tag gemacht. Die Telefonleitungen im Haus aktivieren zu lassen war ihre oberste Priorität. Ihr zweiter Punkt war ein Besuch im Rathaus von St. Just. Der Name Lucy Gray ging ihr nicht aus dem Kopf, und sie hatte sich vorgenommenherauszufinden, ob in St. Just ein Mädchen dieses Namens aktenkundig war. Und wenn sie schon einmal vor Ort war, würde sie versuchen, an einen Grundriss von Ashby House heranzukommen. Den Dunklen Raum musste sie schwarz auf weiß sehen.
     
    Zunächst aber freute sie sich auf einen starken Kaffee im ›Star Inn‹. Sie parkte ihren Wagen   – es fiel ihr nicht leicht, sich an den Fahrersitz auf der rechten Seite zu gewöhnen, und erst nach mehreren Versuchen gelang es ihr, den Wagen in die nicht gerade kleine Lücke zu manövrieren   –, stieg aus und stellte mit Bedauern fest, dass das ›Star Inn‹ noch nicht geöffnet hatte. Sie schaute durch ein kleines Fenster ins Innere, konnte aber wegen der Dunkelheit nichts ausmachen. Also schlug sie ihren Mantelkragen hoch und stapfte missgestimmt durch den

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