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Ashby House

Ashby House

Titel: Ashby House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V Ludewig
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so groß ist wie das gesamte Erdgeschoss.«
    »Das wäre physikalisch kaum möglich, Miss Shalott.«
    »Das ist physikalisch absolut
un
möglich.«
    Sie setzten ihren Rundgang fort. Die Tür auf der gegenüberliegenden Seite führte in einen Korridor. Von diesem halbkreisförmigen Gang gingen weitere Türen ab. Sie durchschritten die Dienstbotenzimmer, karg möbliert, aber von einer stattlichen Größe, in der jeweils vier Betten Platz fanden, ein Wäschezimmer, in dem in Truhen und Schränken altes Leinen lagerte, das die Jahre völlig unbeschadet überstanden hatte, ein Badezimmer, das sehr viel bescheidener gehalten war als die im restlichen Haus. Mit jedem Vorhang, den sie zurückzogen, jeder Tür, die sie hinter sich geöffnet ließen, strahlte Licht in die Räume und schien die Gespenster der letzten Nacht zu verscheuchen.
    Auf den Schrecken der letzten Nacht besann sich Laura erst wieder, als sie die letzte Tür des Korridors öffnete, hinter der sie ein weiteres Dienstbotenzimmer oder einen Lagerraum vermutete. Doch bereits der erste geöffnete Vorhang legte einen überraschenden Anblick frei. Regale mit Lehrbüchern bedeckten die gesamte Rückwand. Eine tief angebrachte Schiefertafel, auf der noch Spuren von Kreide zu erkennen waren, hing in der Mitte der linken Wand. Davor standen, streng symmetrisch angeordnet, zehn Tische und dahinter jeweils ein kleiner Stuhl. Laura konnte ein Zittern nicht unterdrücken. Sie befanden sich im Klassenzimmer von Ashby House.

KAPITEL 8
    »Was ist das?«
    »Ein Schulzimmer«, antwortete Steerpike kühl.
    »Aber sagten Sie nicht selbst, dass die Ashbys keine Kinder hatten?«
    Er machte sich an das obligatorische Öffnen der Vorhänge und schwieg für einen Moment. »Vielleicht für die Kinder der Dienerschaft.«
    Laura zog skeptisch die Augenbrauen zusammen und nahm ein Buch aus dem Regal. Es war Darwins ›On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life‹
.
»Sie haben doch anhand der Schlafzimmer gesehen, wie viele Menschen hier beschäftigt waren. Möglicherweise haben auch die Dienstboten selbst hier Unterricht erhalten.«
    »An Kindertischen?«
    Er mied ihren Blick.
    Sie dachte an die Aufzeichnungen. Die Kinder waren nur mit Vornamen gelistet gewesen, mit Ausnahme von Lucy Gray. Vielleicht hatte er recht. Dass es sich bei den Kindern nicht um den Nachwuchs des Stiefgeschwisterpaares gehandelt hatte, schien zumindest nahe liegend.
    Ein Knistern, gefolgt von einem trockenen Husten, verkündeteLucilles virtuelle Anwesenheit. »Geht es bald weiter?«
    »Hast du wieder geraucht? Wenn du da unten eine Zigarette brennen hast, dann mach sie sofort aus, Lucille, oder ich nehm sie dir ein für alle Mal weg. Du wirst noch das Haus abfackeln.« Nach dem Unfall hatte Lucille in einem fatalistischen Moment wieder mit dem Rauchen angefangen. Es gehörte zu Lauras allabendlichem Ritus, der Schwester die Zigaretten abzunehmen, da sie nicht ganz zu Unrecht befürchtete, dass Lucille im Morphinrausch mit brennender Glut einschlafen könnte. Mehr als eine Matratze im Haus in Bel Air wies entsprechende Spuren auf.
    Steerpike und Laura gingen zurück in den Korridor. Am Ende des Ganges befand sich eine schmale Tür. Daran gewöhnt, dass alle Türen unverschlossen waren, war Laura überrascht, als sie die Klinke hinabdrückte und die Tür nicht nachgab. Sie kramte in ihrer Tasche nach einem geeigneten Werkzeug, doch Steerpike schob sich an ihr vorbei.
    »Hiermit sollte es gehen.« Er zeigte ihr einen Bund mit Dietrichen und machte sich am Schloss zu schaffen. Sie sah, wie er den Dietrich drehte, hörte das Klicken des sich öffnenden Schlosses und dennoch   – die Tür blieb zu.
    »Was soll das? Sie haben doch aufgeschlossen!«
    Er zögerte. »Die Tür ist von innen verriegelt.«
    »Aber wie? Und wer?«
    Von beiden Seiten drang durch die Fenser des Ballsaals Licht ein, nur die verhangene Kuppel warf einen Schatten in den Raum. Der Mangel an Kommentaren vonseiten Lucilles legte die Vermutung nahe, dass Laura das Rauchverbot gerade noch rechtzeitig ausgesprochen hatte und Lucille weggenickt war.
    Gerade, als sie den Ballsaal verlassen wollten, erblickteLaura ein Metallgestell, das sich bei näherem Betrachten als schmale Wendeltreppe entpuppte.
    »Wollen Sie, oder soll ich?«
    Steerpike beäugte die Konstruktion mit Skepsis. Sie wirkte recht filigran.
    »Vielleicht gehe besser ich. Die Treppe sieht nicht sehr stabil aus.

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