Ashby House
Finger ans Kinn und mimte intensives Grübeln, »… Zahnpflegeprodukte. Nein! Seidiges Haar. Sie sind das Pantene-Pro- V-Mädchen und haben die Seiten gewechselt, weil Sie nicht nur attraktiv, sondern auch sehr intelligent sind. Jetzt besitzen Sie eine eigene Model-Agentur und sind in Cornwall, weil sie Ihre Freundin Claudia Schiffer besucht haben. Sie wollen Sie für eine Kampagne für die PETA gewinnen.«
»Ich muss Sie enttäuschen. Ich bin Pelzträgerin und habe eine besondere Vorliebe für Reptilienleder.«
»Oh, eine Kalifornierin, die einen Pelz zu schätzen weiß. Meine Begeisterung für Sie wächst minütlich.«
»Und ich dachte schon, ich hätte es mir mit Ihnen verscherzt. Nein, ernsthaft, ich habe den Silberfuchs an Ihrem Mantel gesehen. Da konnte ich mutig die Wahrheit sagen.«
»Wenn Sie es sich mit mir verscherzen möchten, meine Liebe, dann müssen Sie sich schon etwas mehr ins Zeug legen.«
Das Kaffeewasser brodelte, und Laura nahm die Kanne vom Herd, froh über eine Ablenkung. Sie verfügte durchaus über schärferes Geschütz. Die Wahrheit. Zwei Beine, die sie auf dem Gewissen hatte. Würde er noch mit ihr flirten, wenn er wüsste, was sie Lucille angetan hatte?
»Wie trinken Sie Ihren Kaffee, Hector?«
»Schwarz wie meine Seele, Laura.«
»Das ist ganz nach meinem Geschmack.«
Nach einem äußerst reichhaltigen und schmackhaften Frühstück in der Küche des ›Star Inn‹ hatte Slasher ihr erklärt, wie sie zum Rathaus fand. Dort hatte man sie an die Kirchengemeinde verwiesen, die die Geburtenverzeichnisse des Ortes aufbewahrte. Was in ihrer Vorstellung eine simple Suche per Knopfdruck gewesen war, entpuppte sich als zeitaufwendige Recherche. Erst die Jahrgänge ab 1965 waren mit dem Computer erfasst, alle weiter zurückliegenden Einträge existierten nur in den alten Kirchenbüchern. Zudem waren die Geburten nicht namentlich, sondern chronologisch sortiert.
Laura begann mit ihrer Suche nach Lucy Grays Geburtsdatum im Jahre 1860. Und da selbst in einem so kleinen Dorf wie St. Just das Geburtsaufkommen beträchtlich gewesen war, dauerte es zwei Stunden, bis sie im Jahr 1866 ankam. Resigniert legte Laura das Kirchenbuch beiseite. Wenn Lucy Gray im Jahr 1870 schon über einen Meter gemessen hatte, schien es ausgeschlossen, dass sie jünger als fünf Jahre war, als die Ashbys mit ihren Experimenten anfingen. In St. Just war Lucy also nicht geboren. Es wäre vielleicht auch zu auffällig gewesen, wenn die Kinder des Dorfes spurlos verschwanden.
In dem kleinen Büroraum der Kirche roch es unangenehm nach altem Linoleum, und das Licht, das durch das penibelgeputzte Fenster mit dem schmiedeeisernen Gitter fiel, wurde immer karger. Laura stand auf, schaltete die Deckenbeleuchtung ein, und die Leuchtstoffröhre über ihr begann leise zu surren. Wenn es in den Geburtsverzeichnissen keine Lucy Gray gab, dann vielleicht – und bei dem Gedanken erschauerte sie – bei den Todesfällen. Hier beschränkte sie ihre Suche auf das Jahr 1877, in dem die Versuchsreihe der Ashbys endete. Doch auch hier war ihre Recherche ebenso wenig von Erfolg gekrönt.
»Und? War Ihre Suche erfolgreich?« Die Gemeindesekretärin warf mit der rechten Hand ihr fast übertrieben langes kastanienbraunes Haar über die Schulter, schaute über die Gläser ihrer Goldrandbrille und lächelte, woraufhin sich auf ihrer linken Wange ein tiefes Grübchen bildete. Ihre Stimme war freundlich und sanft, ohne dabei ins Anbiedernde abzugleiten. Wie Glockenklang aus angenehmer Entfernung, ging es Laura durch den Kopf. Ich würde sie gerne singen hören. »Leider nein. Aber vielleicht ist das auch besser so.«
»Entschuldigen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Kathy Claighbourne. Ich bin eine große Verehrerin der Arbeiten Ihrer Schwester. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich mich gefreut habe, als ich hörte, dass ausgerechnet Lucille Shalott Ashby House kaufen will.«
Es war, als habe man ihr eine Ohrfeige verabreicht. Die vergangenen Tage hatte sie wirklich geglaubt, sich völlig anonym in der englischen Landschaft zu bewegen.
»Ja. Wir sind sehr glücklich über den Kauf.«
»Und wir erst! Die Gemeinde hätte es sich nie leisten können, das Haus zu erhalten. Und dass ausgerechnet eine Starfotografin nach St. Just zieht, hätten wir uns nie erträumt.«
Laura lächelte gequält. »Sagen Sie, Kathy, weiß eigentlich das ganze Dorf, wem Ashby House nun gehört?«
»Sie können
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