Ashby House
gierig. »Nur traue ich dir nicht so viel Fantasie zu. Und darstellerisch wäre es eine Glanzleistung gewesen, also außerhalb deiner Bandbreite …«
»Vielleicht ist es ja umgekehrt, und du hast ein paar Disney-Spezialisten auf mich angesetzt, um mich verrückt zu machen. Die Ausstattung hier ist fast zu britisch geworden, wenn du mich fragst. Ich meine, Ritterrüstungen, ausgestopfteBären, das volle Programm. Inklusive special features.« Wenn Laura daran hätte glauben können, hätte sie sich besser gefühlt. Aber sie war sich ziemlich sicher, dass Ashby House kein Prototyp für einen Themenpark war und sie nicht die Testperson. Ihr Gefühlsleben war fundamental aufgerüttelt worden und nicht mechanisch.
»Wenn ich das in Auftrag gegeben hätte, dann würden hier die Wandspeier durch die Gänge fliegen und die Wände bluten, das kannst du mir glauben.«
In diesem Moment klingelte Lauras Mobiltelefon. »Hallo?«
»Ist es eigentlich eine Hollywood-Konvention, sich nie mit seinem Namen zu melden?« Es war Slasher.
»Nein, aber es ist eine Hollywood-Konvention, sich nach einem Gespräch nicht zu verabschieden. Wir Westküsten-Ladies sagen allerdings am Ende eines Telefonats gelegentlich ›bis bald‹.«
»Manchmal auch ›so long‹?«
Sie musste lachen. »Ja, aber nicht so häufig.«
»Ich habe zuerst die andere Nummer versucht, aber da antwortete eine etwas missgestimmte Dame.«
»Das wird meine Schwester gewesen sein. Das dürfen Sie nicht zu ernst nehmen.« Sie lächelte Lucille an. »Sie ist alt und gebrechlich. Was verschafft mir die Freude Ihres Anrufs?«
»Ich wollte Ihnen einen Höflichkeitsbesuch als neuer Nachbar abstatten. Salz und Brot, Sie wissen schon.«
»Ein entzückender Gedanke, Hector.«
»So sind wir Engländer. Wann passt es Ihnen?«
»Morgen zum Frühstück. Dann können wir unsere alte Frühstückstradition wiederaufleben lassen.«
»Wunderbar! Es hatte mir schon gefehlt!«
»Nun denn, so long!«
Am anderen Ende der Leitung war nur ein Knacken zu hören, und Laura musste lächeln.
Lucille schnipste ihre Zigarettenkippe ins offene Kaminfeuer. »Ich will hier keine Fremden.«
»Und ich will, dass er kein Fremder bleibt. Und da das hier kein Set für ein Fotoshoot ist, zählt nicht, was du willst oder nicht willst. Wenn du nicht gesehen werden willst, dann schließ dich in deinem Zimmer ein.« Mit diesen Worten verließ Laura den Raum, nicht ohne darüber zu grübeln, wie es sein konnte, dass eine Diskussion unter Shalott-Schwestern nie mit einer Problemannäherung, geschweige denn einer Lösung, sondern immer nur mit Wortspielereien endete.
Kopfschüttelnd, aber lächelnd schaute Lucille ihrer Schwester bei ihrem Abgang zu. Das Mädchen hat zu viele Soap-Operas gesehen, dachte sie und gestand sich zugleich ein, dass die augenblickliche Situation sehr in Richtung dieses Genres tendierte.
Sie hob ihre Arbeitsmappe vom Fußboden auf und nahm sie auf den Schoß, ohne sie zu öffnen. Sie legte die rechte Hand auf die Mappe und schloss die Augen. In dieser Arbeit steckte ihr Herzblut. Wenn sie endlich das letzte Kapitel dieser Geschichte in Erfahrung gebracht haben würde, dann konnte ihre Karriere in die nächste Phase gehen. Wenn nicht ihr Unfall diesen Traum begraben hatte. Doch sie war nun schon so weit gekommen, dass es unvorstellbar war, die Recherchen abzubrechen, jetzt, wo sie an der Quelle saß. Wenn das Schicksal gewollt hätte, dass ein lächerlicher Unfall ihre alte Karriere beendete und ihre neue vereitelte, dann hätte ebendieses Schicksal sie niemals in Ashby Houseankommen lassen. Ihre Schwester hätte diese Entwicklung für einen zynischen Kommentar gehalten, aber Lucille war härter als Laura.
Während Hollywood sich auf Geschichtsepen und Mystery-Thriller eingeschossen hatte, bereitete Lucille eine Regiearbeit vor, die in den Augen von Produzenten, Anwälten, Konsortien, Spielefabrikanten und sämtlichen anderen Investoren, Lizenznehmern und Wirtschaftsanalysten keine Chance auf die große Kasse hatte. Vielleicht war der Zeitpunkt für einen solchen Film ungünstig gewählt, vielleicht auch einfach vorbei. (Oder nie da gewesen. Hollywood war nie gut darin gewesen, seinen Protagonisten ein adäquates Denkmal zu setzen.)
Lucille hätte keinen schlechteren Stoff wählen können. So schlampig und einfallslos, wie nur das Leben selbst zu inszenieren vermag, imitierte Lucilles Schicksal das ihrer Protagonistin. Sie hatte auf den Pfaden dieser »Chris«
Weitere Kostenlose Bücher