Ashby House
die Türen bewacht. Saßen bis zu zwölf Stunden am Tag allein im Dunkeln.«
»O mein Gott.«
»Es kam vor, dass sie vor Erschöpfung auf dem Heimweg einschliefen. Ihre Mütter zogen los und lasen sie von der Straße auf. Hier steht, dass sich unter diesen Umständen in vielen Fällen die Pubertät bis zum achtzehnten Lebensjahr verzögerte. Die Lebenserwartung sank dramatisch. Und fast alle Minenarbeiter waren durchschnittlich kleiner als der Rest der Bevölkerung.«
»Evolutionstheorie am Beispiel!«
»Lamarck gegen Darwin.«
»Das heißt, während wir die Sklaven befreiten, schickten die Engländer ihren eigenen Nachwuchs in die Hölle.«
»Und behaupteten sich so als führende Industrienation. Meine Güte! Er schreibt, dass unter den vorherrschenden Bedingungen – der Hitze, der Dunkelheit und der Tatsache, dass Frauen und Männer miteinander auf engstem Raum und teilweise splitternackt arbeiteten – bei den Minenarbeitern besonders viele uneheliche Geburten zu verzeichnen waren. Sie haben sich, in seinen Worten, aufgeführt wie Halbwilde.«
»Mir wird langsam die morbide Faszination der Briten für Kleinwüchsige klar. Denk doch mal an die Hobbits. Oder die Morlocks in der ›Zeitmaschine‹.«
»Oder die Verlorenen Jungs bei Peter Pan.«
Laura musste schlucken. Die verlorenen Kinder … Sie schauderte und erhob sich. »Dieses Haus ist auf Kinderleichen erbaut.«
Stephen starrte sie entgeistert an und setzte zu einer Frage an, wurde aber abrupt abgeschnitten, als vor den Toren von Ashby House die erste Autohupe ertönte.
Die Presse glaubte also, Lucille Shalotts Versteck aufgespürt zu haben. Laura hätte sich glücklich geschätzt, wenn sie dasselbe von sich hätte behaupten können.
»So sieht es also von außen aus.«
Steerpike, Steed und Laura standen vor dem Plasma-Screen von Lucilles Breitbandfernseher und betrachteten die Übertragungsbilder des Sendewagens. Das erste Blitzlichtgewitter hatte nachgelassen. Die Fotos des Spukhauses würden sich in Kombination mit Archivbildern der Schwestern und desHollywood-Helden als durchaus abdruckwürdig erweisen und ihren Fotografen beachtliche Summen einbringen.
»… konnten wir bislang keinen Blick auf Lucille Shalott oder Stephen Steed erhaschen. Nach Auskunft von Ortsansässigen bewohnen nicht nur die Shalott-Schwestern das Haus vor St. Just, sondern seit gestern weilt auch Hollywood-Star Stephen Steed in der kleinen Gemeinde in Cornwall. Heute Vormittag ist er mit Laura Shalott in St. Just gesehen worden. Leider blieben Interviewanfragen gänzlich unbeantwortet. Lucille Shalotts Agentin Lorna Eckels hat alle Angaben über den Aufenthalt ihrer wichtigsten Klientin dementiert.«
»Ist das nicht absurd? Während sie uns beglotzen, beglotzen wir sie und das Haus, in dem wir uns gerade aufhalten …«
»Wir können nur hoffen, dass sie bleiben, wo sie sind.« Steerpike war in echter Sorge.
»Sie werden schon nicht einbrechen. Wofür gibt es denn Gesetze?«
Nicht genug damit, dass der Verbleib der Schwestern jetzt öffentlich bekannt war, erwies sich Lauras Geheimnummer als wenig geheim. Kaum waren die ersten Fernsehbilder über die Bildschirme gegangen, hatte das Telefon nicht mehr aufgehört zu klingeln.
Laura deaktivierte die Mailboxfunktion und schaltete das Telefon ab. »Wie konnten die nur herausfinden …«
»Vielleicht war es keine gute Idee, mit einem weltbekannten Hollywood-Star Kettensägen kaufen zu gehen.«
»Es war doch nur eine Frage der Zeit«, bemühte sich Stephen zu schlichten. »Betrachte es außerdem mal von einer anderen Seite. Lucille war zwei Wochen raus aus der Presse. Wann ist das schon jemals gut? Solange ihr in der Zeitungsteht, steigt die Nachfrage nach ihren Bildern. Wenn sie wieder arbeitet, kann sie astronomische Summen fordern. Das ist Hollywood. Richtig schlimm wäre, wenn die Presse keine Notiz nähme.«
Laura, die sich mit den wirtschaftlichen Strukturen auskannte, war dieser Gedanke kein Trost. Wenn sich nicht bald etwas tat, gab es vermutlich bald nur noch eine Handvoll Pressemeldungen, die in etwa so begannen: »Lucille Shalott in Spukhaus verschwunden«, und – unvorstellbar, sie schob den Gedanken beiseite.
»Stephen, du würdest mir einen echten Gefallen tun, wenn du dir die Aufzeichnungen anschaust. Die von Lucille und alles, was du hier über die Ashby-Minen findest. Steerpike und ich haben noch etwas zu erledigen.« Sie bedachte den Butler mit einem intensiven Blick und
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