Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)

Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)

Titel: Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
Vom Netzwerk:
sich an wie splitterndes Holz, und dann schrie Luke etwas von brechenden Bäumen, und Weller rief: »Hörst du das, hörst du das? Du bringst diesen Jungen um und dich selbst auch, und zwar für nichts!«
    Nein, nein, nicht für nichts. Für sie. Wieder rief sie nach ihm, aber ihre Stimme war so schwach. Er konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob er sie tatsächlich rufen hörte oder nur ein Echo davon. Oder vielleicht war er in einer endlosen Erinnerungsschleife gefangen, aus der er sich nie würde befreien können, denn da war nun auch Staub und Sonne und grauer Fels und Jims Stimme: Schneid den Draht durch, schneid ihn durch und komm raus, schnapp dir das Kind, schnapp dir das Kind und raus, raus, raus!
    »Aber, mein Gott, welchen ?«, schrie er. Er lag auf den Knien, im Schnee, auf einer unbefestigten Straße, unter einem seltsamen Mond, einer glutheißen Sonne, und da waren Stimmen in seinem Kopf und das Knallen und Dröhnen von Gewehrfeuer und das Heulen von Männern und Frauen irgendwo in der Nähe und die Stimmen seiner Freunde – alle tot jetzt, alle fort – und Schweiß und Tränen, die in seinen Augen brannten. »Wie soll ich das entscheiden?«
    Denn auf jener Straße und an jenem Tag war nicht nur ein kleines Mädchen, der man eine Bombe um die schmale Taille gebunden hatte.
    Sondern auch ein kleiner Junge.
    »Mein Gott, wie soll ich das entscheiden?«, brüllte er wieder. Er presste die Hände an die Schläfen, ganz fest. Raus aus meinem Kopf, raus aus meinem Kopf, schnapp dir das Kind, schnapp dir das Kind, schneid den Draht durch, raus aus meinem Kopf, raus, raus, raus! »Wie kannst du so was fragen ?«
    »Tom!«, rief Luke – in einem anderen Leben, einer anderen Zeit. »Tom, bitte, komm mit!«
    O Gott, Alex. Hilf mir zu bleiben. Er stürzte auf diesen Spalt in der Erde zu, eine ferne Hoffnung, und streckte den Kopf, dann die Arme ins Dunkel. Unter seinen Händen zitterten lose Steine und schmolz der Schnee. Das Donnern war gewaltig, als wäre etwas Lebendiges da unten, das seinen brüllenden Rachen öffnete, um sie beide zu verschlingen. »Alex, bitte, versuch es! Kletter weiter, Alex, weiter!«
    »Tom, tu’s nicht!« Er spürte Hände, die nach seiner Taille fassten. »Lass es«, rief Weller. »Lass es, Tom! Wir müssen hier weg!«
    Du musst weg, schneid den Draht durch, schneid den Draht durch, schnapp dir das Kind, raus, raus! Um sich tretend und fluchend griff er so tief in den Schacht hinein, wie es nur ging, strengte sich so sehr an, dass seine Muskeln zitterten und seine Gelenke schmerzten – doch ganz gleich, was er tat, es genügte nicht. Sie war eine Stimme in einer leeren Weite von so unermesslichen Ausmaßen, dass er endlos fallen würde. Aber er musste es versuchen, er durfte nicht aufhören. Er musste zu ihr, denn sie würden sich berühren, und er würde sie retten; er würde sie aus dieser Hölle herausholen, herauf ans Licht; sie würden einander retten. »Alex!«
    »Ich versuch’s.« Ihr Stimme, so leise. »Zu weit … keine Zeit.« Dann: »Lauf, Tom, lauf. Geh weg … hau ab, bevor … «
    »Nein!«, bellte Tom. »Gib nicht auf, Alex, gib bloß nicht auf! Ich bin hier, Alex, ich bin hier !«
    »Keine Zeit. Tom, bitte, geh … «
    »Sie sind auf der Anhöhe!« Hinter ihm, über ihm schrie Luke: »Sie sind da, sie sind da, sie sind auf der Anhöhe!« Ein Knall, dann noch zwei weitere. Kugeln pfiffen durch die Luft. »Sag mir, was ich machen soll!«, rief Luke mit schriller, panischer Stimme. »Sag mir doch jemand, was ich machen soll – schießen, kämpfen wir, fliehen … «
    Kämpfen, Alex, kämpfen, sag meinen Namen noch mal, sag meinen Namen noch mal, lass mich hier nicht allein, ich komme da niemals raus. » Alex!« Er griff ins Leere, wo es nichts festzuhalten gab außer bebender Dunkelheit. Er wollte sich weiter vor schlängeln, aber Weller umklammerte seine Taille, und er konnte sich nicht rühren, konnte nichts tun, außer sich am Rande des Abgrunds zu halten: oben ein Albtraum, unten sein Schicksal. »Alex, Ale…«
    Ohne Vorwarnung hob sich plötzlich der Boden, dann senkte er sich mit einer Wucht wieder herab, die ihn im Bauch traf und bis ins Rückgrat erschütterte. Aus dem Schacht drang ein Luftschwall, als die Erde sich bewegte, und dann hörte er ein Zischen, ein Knistern, ein anschwellendes Rascheln und Knacken, mit dem sich das Gestein unter seinen Händen in Bewegung setzte, sich wegwälzte, aufbrach. Steine hüpften und polterten den Schacht hinunter.

Weitere Kostenlose Bücher