Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
etwas anderes als gegen diese zermalmenden Kiefer …
Er ist schwerer, und ich kann ihnen nicht davonlaufen. Sie werden mich kriegen, und dann wird Wolf …
Da gab Spinne unversehens klein bei. Ein heftiger Schauder schien ihren Mädchenkörper zu überlaufen, und ihre geschundenen Lippen zuckten, während ein chemischer Geruch – die Mischung aus Angst und Wut – die Luft erfüllte. Sie wich zurück und machte ein paar rasche Schritte rückwärts, dann wirbelte sie in ihrem Wolfspelz herum und stapfte weiter die Reihe entlang bis zum armen Otis.
Mein Gott. Hätte sie es nicht eben selbst gesehen, würde sie es nicht glauben. Wolf lässt mich leben. Wolf hat sich mit Spinne angelegt und sie zum Rückzug gezwungen . Was letztlich jedoch nicht unbedingt zu ihrem Vorteil sein musste, überlegte Alex, und zwar aus mehreren Gründen. Spinne hasste sie jetzt schon abgrundtief. Und ich dich auch, Herzchen . Aber was Alex nicht verstand: Warum wollte Wolf sie leben lassen? Nur weil er ihr höchstpersönlich den Garaus machen wollte? Na klasse. Letztlich ging es vielleicht nur um etwas so Banales wie das, was man mit einem Eisbecher macht: Alex kannte kein Kind, das sich nicht die Kirsche obendrauf bis zum Schluss aufhob.
Wie viel Zeit blieb ihr also noch?
Sechster Tag: Donnerstag.
Kurz vor vier an jenem Morgen kollabierte Brian, der Mann, bei dem Alex eine Diabetes vermutet hatte. Nach all den kilometerlangen beschwerlichen Märschen durch den Tiefschnee hatte eine fortschreitende Gangräne seine Füße schwarz verfärbt; das Fleisch war bereits bis zum Knie angegriffen, das Blut vergiftet. Er war bereits dermaßen weggetreten, dass er es kaum mitbekam, bis etwa nach dem dritten oder vierten Schnitt.
Dann fing Brian an zu brüllen. Zehn Sekunden lang, vielleicht auch zwanzig. Bis Spinne offenbar genug von dem Theater hatte und zuschlug, ein fieser Rückhand-Slice. Urplötzlich verstummten Brians Schreie, und ein tropfendes rotes Halbrund zog sich über seinen Hals.
Brians Kopf klappte nach hinten weg, so weit, dass seine Augen mit einem Ausdruck des Erstaunens Alex anstarrten – nur verkehrt herum. Das Kinn oben, die Augen unten, der Hinterkopf auf den Schultern aufliegend, während sein Blut in zwei roten Fontänen hervorschoss. Bei diesem Anblick setzte Alex’ Verstand aus, und sie dachte nur: Wie dieser Androide in Alien .
Jetzt waren sie noch vier.
Samstag, früher Morgen, achter Tag.
Otis war nur noch ein Knochenhaufen. Alex konnte sich nicht einmal mehr erinnern, wie der Mann ausgesehen hatte. Die Veränderten hatten Brian in eine zitternde Masse Hack verwandelt, aber kaum einen Happen davon gegessen – wahrscheinlich aus demselben Grund, warum kein halbwegs vernünftiger Mensch vergammelte grüne Bolognese isst. Nun waren sie also nur noch zu viert, und wenn die Veränderten ihre Herde nicht aufstockten, würden Alex bestenfalls noch eineinhalb Wochen bleiben.
Wie ihr außerdem auffiel, wurde Wolf zunehmend … hungriger. Und das war kein Hunger, der sich mit einem ordentlichen Burger stillen ließ. Mochte es Intuition oder ihr sechster Sinn sein, sie spürte es einfach. Wolf strahlte dieses Verlangen aus wie heißer Asphalt die flimmernde Hitze. Manchmal fasste er sie auch an. Es war nicht direkt unanständig, aber gelegentlich streifte er sie mit der Hand, die er dann auf ihrem Arm ruhen ließ, und sein dunkler Geruch wurde mit jeder Sekunde stärker und lüsterner. Einmal griff er nach etwas neben ihrer Schulter – wonach wusste sie nicht mehr – , und da waren ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. Wieder einmal. So nah, dass sie seine Narbe pulsieren sah wie etwas Lebendes, als sich sein Herzschlag beschleunigte. Seine Nasenlöcher weiteten sich, sein Mund öffnete sich leicht, und wie eine Schlange sog er ihren Geruch ein. Daraufhin wurde seine Begierde noch intensiver und verwandelte sich in etwas beinahe Körperliches, so greifbar und real wie eine Umarmung.
Und Gott stehe ihr bei, je länger sie bei diesen Veränderten blieb – vor allem bei Wolf – , desto mehr vernebelte ihr dieses außerordentlich seltsame, flirrende wirre Gefühl den Verstand. Bei allem Schrecken, den sie empfand, wenn Wolf in ihre Nähe kam oder sie gar berührte, fühlte sie sich trotz ihrer Angst auch zu ihm hingezogen. Irgendwie … spaltete sie sich auf: Die Grenzen verflossen, ein schattenhaftes zweites Ich erwachte in ihrem Körper, um eine Kluft zu überbrücken. Es war nicht direkt Sympathie,
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