Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
der älteren Marke war der Rand gebördelt und keine Sozialversicherungsnummer eingeprägt, nur Jeds Name, Kennnummer, Blutgruppe und Religionszugehörigkeit. Die Machart der anderen Marke war ihm sehr vertraut, denn seine Identifikations-Tätowierung enthielt die gleichen Informationen. Seine eigenen, mit Gummi ummantelten Hundemarken hatte er in eine Kommodenschublade mit alten Socken gesteckt, aber von der Kommode und dem Haus, in dem sie gestanden hatte, war jetzt höchstwahrscheinlich nur noch Asche übrig.
»Die solltest du behalten.«
»Tom, du bist jung. Du denkst, du schaffst alles allein, aber mittlerweile solltest du es doch besser wissen. Du wirst Hilfe brauchen. Na komm, nimm schon.« Jed hielt inne. »Tu einem alten Mann einen Gefallen. Tu es einfach mir zuliebe.«
Jed hatte recht. Wenn die Vietnam-Veteranen so ähnlich tickten wie die heutigen Veteranen, gab es enge Netzwerke, die ein Leben lang Bestand hatten. Schließlich hängte er sich die Marken um und verstaute sie unter seinem Hemd. »Wo ist deine andere Marke?«
»Bei Michael. Die, die du jetzt hast, haben sie uns damals nach Hause mitgebracht. Aber in der Nacht vor der Beerdigung habe ich eine von meinen zu ihm hineingelegt, damit er nicht allein ist.« Jed legte eine Hand auf Toms Schulter. »Und du bist es nun auch nicht mehr.«
Es klopfte an der Haustür. Drei Mal, entschlossen und in gleichmäßigen Abständen.
Mist . Grace zog die Augenbrauen zusammen. Jed kam zu früh, aber … Er benutzte doch immer die Südtür. Außerdem würde er nicht klopfen.
Es klopfte wieder. »Grace, ich bin’s.«
Ihre Haltung wurde entspannter, aber nur ein bisschen. Diese Stimme kannte sie, aber jetzt war der falsche Zeitpunkt und der falsche Ort. Sie musste sich etwas einfallen lassen, wie sie ihn wieder loswurde. Den Tisch und die Geschenke durfte er nicht zu Gesicht bekommen.
»Grace?«
Verflixt . Sie warf einen raschen Blick auf die Sanduhr, die jetzt in der Mitte des neunten Durchlaufs war. Zur Tür und zurück sollte sie es doch in zwanzig Sekunden schaffen. Jede Menge Zeit.
Einundzwanzig, zweiundzwanzig … Ich sage ihm einfach, dass er nicht bleiben kann. Mit schnellen Schritten stapfte sie aus dem westlichen Zimmer in den kurzen Flur zur Vordertür. Dreiundzwanzig, vier… Ich lasse mich auf gar keine Diskussion ein, ich schließe gleich wieder die Tür und mache nicht mehr auf, egal was … Sechsundzwanzig. Sie zog die Vordertür auf und zuckte unter einer winterlichen Bö zusammen. Sieben…
Alles, was sie sagen wollte, türmte sich übereinander wie die Sandkörnchen auf dem Miniaturgebirge. Ihr Mund öffnete sich, doch kein Wort kam heraus. Natürlich kannte sie den alten Mann mit dem schwarzen Parka und der übergroßen Fliegermütze, die er sich so weit ins Gesicht gezogen hatte, dass er nur mit nach hinten geneigtem Kopf sehen konnte, wohin er ging.
Aber die anderen beiden – hartgesotten, grimmig und ebenfalls alt, denn heutzutage war ja praktisch jeder alt – hatte sie noch nie gesehen.
Drei Männer. Einen kurzen Moment lang hatte sie ein komisches Déjà-vu-Erlebnis. Sie war nicht im Blockhaus, die Welt war noch nicht aus den Fugen geraten, und gerade eben waren die Marines gekommen, als sie mit Messlöffeln in der Hand aus der Küche trat – aber sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wozu diese Löffel gut waren.
Da fiel ihr Blick auf die Pferde.
Drei Männer, zwei Gewehre.
Aber sechs Pferde.
Diese Männer hier sind zu dritt . Sie spürte, wie die Luft ihre Zunge ausdörrte, ihre Stimme verflüchtigte sich wie Kohlensäure in Limo. Ein Pferd auch für ihn, aber nicht für mich und Jed – weil sie nicht unseretwegen hier sind. Macht vier.
Wo sind also die anderen beiden Männer?
Sie schaute den Alten mit der lächerlich überdimensionierten Pilotenfellmütze an. »Abel?«
25
Samstagnacht.
»Das gefällt mir nicht. Sie sind schon zu lange weg, praktisch seit der Morgendämmerung, obwohl sie doch tagsüber nie jagen. Außerdem haben sie ein Lagerfeuer im Schnee gemacht. Was soll denn das?« Sharon bohrte mit ihrem schmutzigen Fingernagel in einer großen nässenden Wunde an ihrer rechten Wange. Das weiche gelbliche Geschwür prangte wie eine zerquetschte Spinne mitten in einem verblassten grüngrauen Spinnweben-Tattoo. Nachdem Sharon einen bösen Blick zu Pickel geworfen hatte, der auf einem niedrigen Beistelltisch neben einem prasselnden Kaminfeuer hockte, das Alex in Gang gebracht hatte,
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