Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
wollte wirklich nicht mit ansehen, wie eine Frau, die seine Großmutter hätte sein können, auf ihm herumhackte.
»Chris«, sagte Jess, »du hast überlebt, weil du großes Glück hattest und sehr gescheit bist, aber letztlich musst du deinen Weg gehen, auch wenn es dir Angst macht.«
»Das tue ich doch«, entgegnete Chris. Sein Gesicht war aschfahl. »Oder etwa nicht?«
»Nein, das tust du nicht. In blindem Gehorsam Befehle zu befolgen ist typisch für Leute, die aufgehört haben zu denken. Und es ist nun mal besser zu leiden, weil man das Richtige getan hat, als das Falsche zu tun. Mach dir nichts vor, Christopher. Der Frieden hat seinen Preis.«
Worum ging es hier eigentlich? Alex hatte das Gefühl, dass Jess und Chris und sogar Kincaid sich über ihren Kopf hinweg über etwas unterhielten, was gar nichts damit zu tun hatte, ob Chris jetzt den Bodyguard spielen sollte oder nicht. Vielmehr wurde um eine Frage gestritten, die sie noch gar nicht gestellt hatte. Sie dachte, dass Chris etwas darauf entgegnen würde, aber dann ballte er nur die Fäuste und schluckte hinunter, was ihm auf der Zunge gelegen hatte. Er zog seine Jacke an, stapfte hinaus und knallte die Küchentür zu, dass die Gläser klirrten.
»Nicht schlecht«, sagte Kincaid.
»Säet die Frucht der Gerechtigkeit«, murmelte Jess.
»War es das, was du da eben getan hast? Für mich klang es eher, als würdest du den Jungen in der Luft zerreißen.«
»Hüte deine Zunge, Matt.« Sie warf Alex einen warnenden Blick zu. »Er ist nicht der einzige junge Mensch, der seinen freien Willen aufgegeben hat.«
»Moment mal«, sagte Alex. »Warum kommst du da auf mich zu sprechen? Ich will sehr wohl frei sein.«
»Auch die Freiheit hat ihren Preis, Mädel. Und wenn du noch so mutig bist, du wirst nicht …« Sie verstummte, als die Küchentür aufging. Sarah kam herein und schüttelte sich Schneeflocken aus dem Haar.
»Was ist denn mit Chris los?«, fragte sie. »Geht es ihm nicht gut?«
»Das muss nicht deine Sorge sein«, sagte Jess und wandte sich Alex zu. »Du bist eine undankbare und sehr törichte junge Frau. Solange du hier bist, wirst du still sein und dich an die Regeln halten.«
Wie bitte? An die Regeln halten? Alex platzte der Kragen. »Vor fünf Sekunden hast du noch gesagt, die Regeln …«
»Maß dir nicht an, mich zurechtzuweisen!« Jess schnitt ihr mit einer grimmigen Geste das Wort ab. »Halt den Mund, junge Dame. Und hör auf, über Dinge zu schwatzen, von denen du keine Ahnung hast, verstanden?«
Sarah fielen fast die Augen aus dem Kopf. Nach dieser Demütigung wäre Alex am liebsten im Erdboden versunken. »Ja, Ma’am.«
»Hervorragend.« Jess bedachte Alex mit einem unterkühlten Blick. »Ich bin froh, dass wir das geklärt haben. Und jetzt sollten wir alle die Ärmel hochkrempeln und anpacken, wo wir gebraucht werden.« Damit rauschte sie hinaus.
»Mannomann«, sagte Kincaid nach einer Weile, »wette, da hätte man eine Stecknadel fallen hören können.«
52
K incaid winkte ab, als Sarah ihm noch eine Tasse Tee anbot. »Danke, ich muss jetzt zurück. Alex, würdest du mich ein Stück begleiten?«
Alex brach das Schweigen erst, als sie draußen waren. Dann schaute sie zu Kincaid auf. »Was hat das alles …«
»Psst.« Kincaid hob warnend die Hand, und sie sah, wie sich der Wachposten, der vor dem Haus lümmelte, aufrichtete. Kincaid hob den Daumen. »Ich kümmere mich um sie, Greg. Drinnen gibt’s heißen Tee, wenn du magst. Hol dir bei Sarah ’ne Tasse.«
»Und was ist mit Tori?« Gregs Atem bildete weiße Dampfwölkchen. Er war jünger als Alex, vielleicht fünfzehn, unter seiner Rollmütze kamen dunkelbraune Locken zum Vorschein. Der Wind hatte seine Wangen knallrot gefärbt. »Ist sie auch da?«
»Nein, aber sie kommt sicher gleich. Sie freut sich bestimmt, dich zu sehen.« Kincaid klopfte dem Jungen auf die Schulter. »Da fällt auch ein Sandwich für dich ab.«
»Ja, das wär nicht schlecht. Wenn Sie meinen, dass das in Ordnung ist. Und wenn Chris nicht wieder auftaucht. Der war ja fuchsteufelswild.«
»Ach, ich glaube, Chris hat für heute genug.«
»Gut.« Greg deutete auf seine goldbraune Stute, in deren buschigem Schwanz und langer Mähne Eis- und Schneeklumpen hingen. »Daisy braucht sowieso noch eine Weile, bis sie wieder etwas aufgetaut ist.«
»Dann geh rein, bevor du dir den Tod holst«, riet Kincaid. Honey, Alex’ Pferd, hatten sie bereits in einer zum Stall umfunktionieren Dreiergarage am Ende der
Weitere Kostenlose Bücher