Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
an ihr Lebensprinzip geworden. Das Monster zu akzeptieren, hätte für sie bedeutet aufzugeben, sich zu unterwerfen. Wer nicht kämpfte, starb. Hatte sich das geändert, als sie abgehauen war, die Schule geschwänzt hatte und in den Waucamaw-Park gefahren war? Nein. Sie hatte sich nur auf eine andere Art gewehrt: Sie hatte die Ärzte und die Untersuchungen und Behandlungen abgelehnt, um das Heft selber in die Hand zu nehmen. Und seit dem Blitz hatte sie tagtäglich um ihr Leben kämpfen müssen.
So, und jetzt? Sollte sie sich etwa damit abfinden, was hier ablief? Nein. Sie hatte sich dieses Leben nicht ausgesucht, sie war hier nicht zu Hause. Und die hier waren nicht ihre Leute. Sie mochten ja nett sein, aber sie hatten ihre Gründe, warum sie Alex hier behielten, davon war sie überzeugt – und bei Gott, sie würde nicht ausgerechnet jetzt aufhören zu kämpfen. Nein, sie würde hier verschwinden, und sie würde Tom und Ellie finden. Dazu musste sie nur genau überlegen, wie sie es anstellen konnte.
Laut sagte sie etwas, was auch stimmte. »Ich bin einfach wütend … auf alles.«
»Ist klar«, sagte Jess. »Du bist auch nur ein Mensch, aber du musst allmählich anfangen, an das Gemeinwohl zu denken. Und was dich betrifft, Christopher, du solltest über deinen Schatten springen und dich ein bisschen entspannen. Du bist jung, und dir wurde für dein Alter viel Verantwortung aufgebürdet, das macht dir Angst. Aber sich an Regeln zu halten, nur weil sie da sind, macht sie noch nicht richtig. Du musst auch lernen, wann Regeln gebrochen werden sollten.«
»Ja, Ma’am.« Sein dunkler Geruch wurde noch schwärzer – aber nicht aus Wut, dachte Alex, sondern aus Verlegenheit. Chris sah erst Jess an, dann Alex, dann senkte er den Blick. »Begleitschutz wäre wahrscheinlich übertrieben.«
Ja! Ein kurzes Triumphgefühl durchzuckte Alex, aber sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Wenn ich sie jetzt so weit kriege, dass sie noch ein bisschen lockerer werden …
Doch Kincaid schüttelte den Kopf. »Wenn du sie ohne Begleitschutz gehen lässt, dann musst du die Regel auch für alle anderen ändern. So etwas sollte man sich gründlich überlegen. In dem Punkt würdest du dich mit Peter anlegen, und vielleicht auch mit dem Rat. Ich glaube nicht, dass du dich damit durchsetzen kannst.«
Chris hob die Hände. »Euch kann man doch nichts recht machen. Erst ist Alex gegen mich, dann erklärt mir Jess, ich sollte die Regeln brechen, und dann kommen Sie und sagen das Gegenteil. Herrgott noch mal.«
»Hüte deine Zunge, junger Mann«, mahnte Jess. »Matt hat recht. Wenn du eine Ausnahme machen willst, brauchst du einen guten Grund. Einen eigenen Weg einzuschlagen heißt nicht, unüberlegt zu handeln. Momentan ist Alex nur am Rummäkeln. Am Ende erleben wir mit ihr dasselbe wie mit Lena.«
»He«, protestierte Alex. Auch wenn sie sich vorgenommen hatte, einen Fluchtweg zu suchen, war sie deshalb nicht weniger sauer als vorher. Mit Lena hatte sie aber wirklich gar nichts gemeinsam.
»Wir machen es so«, entschied Jess. »Christopher, du begleitest sie, wenn du es einrichten kannst und wenn es deine Pflichten zulassen. Lern Alex kennen. Wenn du das Gefühl hast, dass man ihr trauen kann, dann lass ihr Bewegungsfreiheit. Erklär Peter, warum. Lieber Himmel, wenn es um Schutz geht, dann soll sie eben beweisen, dass sie selber auf sich aufpassen kann.«
»Und wie soll ich das anstellen?«, fragte Chris. Seine blasse Haut war mit roten Flecken gesprenkelt, und seine dunklen Augen glänzten vor Zorn. »Ihr ein Gewehr geben? Soll sie etwa Scheibenschießen üben? Oder mit uns reiten?«
»Genau«, entgegnete Alex. »Ich wette, ich schieße ebenso gut wie ihr.«
» Denn so ist es der Wille Gottes, dass ihr durch Gutestun die Unwissenheit der unverständigen Menschen zum Schweigen bringt.« Jess warf Alex einen Blick zu. »Insbesondere die der unverständigen Mädchen. Alex, solange du nicht weißt, wovon du redest, hältst du besser den Mund.« Und an Chris gewandt sagte sie: »Du bist ein kluger Junge. Finde raus, was richtig ist, und dann tu es, um Himmels willen.«
»Jess, so einfach ist das nicht«, erwiderte Chris.
»Unsinn. Du willst ein Mann sein? Dann handle wie einer.«
»Jess«, mischte sich Kincaid ein, »der Junge tut sein Bestes …«
»Ich kann mich selbst verteidigen«, fuhr Chris dazwischen. Eine Klinge aus Eis hatte seine Schatten zerrissen. Sympathie flammte in Alex auf. Mit Chris kam sie zurecht, und sie
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