Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
schmales, rechteckiges schwarzes Etui heraus. »Ich dachte, die könntest du vielleicht gebrauchen.«
Sie öffnete das Etui, und darin befand sich eine Damensonnenbrille. Das leichte Kunststoffgestell war grau-grün, die Gläser bernsteinfarben.
Als sie den Blick wieder zu ihm hob, hatte er seine eigene Sonnenbrille abgenommen. In seinen dunklen Augen lag plötzlich etwas Zaghaftes und sein Geruch hatte sich verändert: noch immer dunkel und kühl, aber auch etwas Süßsäuerliches … Apfel?
»Sie hat Sportgläser«, erklärte er. »Die sind polarisiert und bruchfest, sollten also eine ganze Weile halten.«
Es war eine teure und schöne Brille, dachte sie sich, und das einzig Richtige wäre, das Geschenk anzunehmen. Es auszuschlagen wäre kleinlich, engstirnig. Aber sie wollte ihn weder ermutigen noch sympathisch finden. Sondern nur einen Weg finden, wie sie hier herauskam.
»Danke.« Sie schloss das Etui und hielt es ihm hin. »Aber das ist nicht nötig.«
Ein Anflug von Gekränktheit spielte um seine Miene, war aber im nächsten Moment schon wieder verschwunden. Der Apfelduft verflüchtigte sich, als er das Etui wieder an sich nahm.
»Okay«, sagte er. »Kein Problem.«
57
S ie war so blöd.
Sie hätte die Sonnenbrille nehmen sollen.
Was war sie nur für eine Vollidiotin!
Bei näherer Überlegung wurde ihr nämlich klar, dass Chris viele Kilometer weit in das Gemetzel und Chaos außerhalb von Rule geritten war, um Bücher zu holen, damit ein paar Kinder etwas zu lesen hatten. Und inmitten all dessen hatte er an sie gedacht. Im Geiste sah sie ihn vor sich, wie er durch leere Straßen wanderte und sich an Leichen und verlassenen Autos vorbeischlängelte. Wie er dabei stets die Augen nach Veränderten oder Hinterhalten offen hielt und gleichzeitig nach der perfekten Sonnenbrille für ein Mädchen suchte, das er kaum kannte und das ihm seiner bisherigen Erfahrung nach die Sonnenbrille womöglich ins Gesicht schleudern würde.
Was sie praktisch auch getan hatte. Selbst wenn sie ihn nicht hätte aushorchen wollen, gemein zu sein nur um der Gemeinheit willen … das war überhaupt nicht ihre Art. Wie blöd von ihr!
Kincaid ließ sie erst spät gehen, kurz vor neun, und als sie zum Vordereingang eilte, war Chris nicht da. Und das war gut so. Sogar eine Erleichterung. Aber es war auch das erste Mal, dass er keinen Begleitschutz für sie organisiert hatte. Vielleicht weil er darauf vertraute, dass sie allein zurückfand? Nein, nach diesem Morgen war es wohl eher als Leck mich doch gemeint.
»Ah, Gott sei Dank.« Eine Helferin flatterte auf sie zu – Loretta, eine dickliche Frau ohne Hüften und mit Topfhaarschnitt. »Chris hat mich gebeten, ein Auge auf dich zu haben und ihm Bescheid zu sagen, wenn Matt dich gehen lässt, aber dann hatte ich so viel zu tun und hab’s vergessen.«
Alex’ Herz machte einen kleinen Sprung. Erleichterung. Ja, sie war erleichtert, und das verwirrte sie noch mehr. Dass sie sich beschissen fühlte, war eine Sache, doch es war noch mal etwas ganz anderes, festzustellen, dass es ihr sehr wohl etwas ausmachte, wenn er wütend auf sie war. »Ist er hier?«
»Ja, aber …« Loretta legte Alex eine Hand auf den Arm und senkte ihre Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. »Er ist drüben im Hospiztrakt. Ich hole ihn.«
»Ich gehe selbst.« Alex setzte sich in Bewegung. »Welches Zimmer?«
»Delmar. Porter.« Loretta huschte an ihre Seite. »Aber lass nur, das hab ich doch auch in einer Sekunde erledigt. Warte lieber vorn.«
»Ist schon gut.« Alex studierte die Namensschilder: Holter. James. Mitchell. Dann fand sie das richtige Zimmer. Die teilweise verglaste Tür stand halb offen, Kerzenlicht reflektierte als schwaches orangefarbenes Flackern an der Scheibe. Alex schlug ein Schwall warmer Luft von dem Katalytofen im Raum entgegen. Okay, sie könnte sich dafür entschuldigen, dass sie sich so blöd verhalten hatte, oder … na ja, sich irgendwas einfallen lassen. »Es ist gleich …«
Alex verstummte. Ihr Blick fiel auf das einzelne Bett, auf dem ein Mann lag. Er war ausgezehrt und spindeldürr und sah so dehydriert und ausgedörrt aus, dass es Alex nicht überrascht hätte, wenn ein plötzlicher Windstoß seine Knochen zu Staub hätte zerfallen lassen. Eine grüne Nasenkanüle schlängelte sich über seine Ohren und unter sein Kinn. Dass er noch lebte, erkannte Alex nur daran, dass er alle paar Sekunden blinzelte wie eine Schildkröte: langsam und bedächtig.
Chris saß mit dem
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