Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
ihn zu ihrem Verbündeten machen. Deshalb hatte sie ihn hereingebeten, oder? Oder?
»Kann ich dich mal was fragen?«, riss Chris sie aus ihren Gedanken.
»Äh … ja klar.« Sie setzte sich auf. Auf ihrem Schoß döste Ghost und zuckte mit den Pfoten. »Was denn?«
»Warum trägst du die Asche deiner Eltern mit dir herum?« Als er ihre Miene sah, fügte er rasch hinzu: »Ich meine, du musst es mir nicht sagen, wenn es zu persönlich ist.«
»Nein, ist schon in Ordnung«, erwiderte sie. Yeager hatte nicht danach gefragt, und Tom hatte es nie gewusst. »Sie sind vor ein paar Jahren gestorben und wollten, dass ich ihre Asche in den Lake Superior streue, das ist alles.«
Und wenn sie es sich recht überlegte, war das tatsächlich alles. Keine große Affäre. Ach, warum nur hatte sie es Tom nicht erzählt, als sie noch Gelegenheit dazu hatte? Aber natürlich kannte sie den Grund.
Weil ich ihm dann von dem Monster hätte erzählen müssen. Hätte ich mich erst einmal mit Tom eingelassen, hätte ich mit der Sprache herausrücken müssen. Aber ich hätte ihm vertrauen müssen, habe es ihm zu lange verschwiegen …
»Oh. War jetzt ein besonderer Moment? Ich meine, das hättest du doch jederzeit machen können, oder?«
»Jetzt schien es mir der richtige Zeitpunkt zu sein«, antwortete sie und merkte, wie wahr das war. Wenn sie bei Tante Hannah geblieben wäre, wäre sie in der Großstadt eingesperrt gewesen – und inzwischen höchstwahrscheinlich tot. Es war, wie Tom gesagt hatte: der richtige Ort genau zur rechten Zeit.
Möglicherweise hatte Chris etwas aus ihrem Ton herausgehört, denn seine Augen verengten sich ein wenig. Doch sein Schattengeruch blieb derselbe, und dann zuckte er die Achseln. »Okay. Tut mir leid, dass du keine Gelegenheit mehr dazu hattest, aber wenn der Frühling kommt, könnten wir ja vielleicht mal hinreiten. Wenn du möchtest. Ich meine, ich würde dich natürlich begleiten.«
Die Tatsache, dass sie keineswegs die Absicht hatte, im Frühling noch in Rule zu sein, ließ sie keine Sekunde zögern. Wenn er dachte, dass sie dann noch da war, würden er und alle andern vielleicht lockerer werden, und sie würde eher eine Möglichkeit finden, von hier zu verschwinden. »Danke. Das ist wirklich nett von dir.«
Sie setzte Ghost auf den Boden, und sie und Chris begannen, den Tisch abzuräumen und abzuspülen. Noch ein Déjà-vu. Fehlte nur noch ein kleines Kind als Dritter im Bunde.
»Du hast Glück, dass du überhaupt noch was von ihnen hast«, sagte Chris. »Die Asche, meine ich. An meine Mom erinnere ich mich praktisch überhaupt nicht.«
Sie gab ihm einen Teller. »Nein?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie ist nur ein großer weißer Fleck für mich. Sie ließ uns sitzen, als ich noch ganz klein war. Nach dem Genörgel meines Vaters zu urteilen, wäre sie am liebsten direkt aus dem Krankenhaus abgehauen, wenn sie gekonnt hätte. Ich kenne sie nicht und weiß nicht, wohin sie gegangen ist, und mein Dad hat keine Bilder von ihr aufgehoben.«
»Weißt du, warum sie euch verlassen hat?«
»Mein Dad war Alkoholiker.« Chris warf ihr einen zaghaften Blick zu, um ihre Reaktion zu prüfen. »Ich denke, er hat sie geschlagen.«
Nun, das erklärte die Schatten. Wenn ein Mann so verkommen war, dass er seine Frau schlug, machte er wahrscheinlich auch bei seinen Kindern von den Fäusten Gebrauch. »Hast du deshalb gesagt, du würdest ihn am liebsten tot sehen? Ich meine, das hast du so nicht gesagt, aber …«
»Ja, ich weiß, was du meinst.« Er seufzte. »Wahrscheinlich. Er hatte etliche Freundinnen. Eine von ihnen war Denise. Als ich zehn war, hat sie mich vom Basketballtraining abgeholt. Ich erinnere mich nicht mehr, warum nicht mein Dad gekommen war, aber vermutlich war er weggedämmert. Denise war auch sturzbesoffen. Das merkte ich schon, als ich hinten in den Wagen stieg. Wir wären wohl besser dran gewesen, wenn ich gefahren wäre. So ein oder zwei Kilometer vor unserem Haus hat sie dann einen Unfall gebaut. Frontal gegen einen Baum. Sie war nicht angeschnallt und flog durch die Windschutzscheibe. Daran war natürlich auch wieder ich schuld. Ich habe noch immer Albträume deswegen.«
Da war es wieder: Albträume, wie bei ihr und Tom. »Wie schrecklich.«
»Ja. Ich bekam das jeden Tag zu hören und träumte jede Nacht davon. Meine Eltern sind jetzt beide tot. Aber der Punkt ist, dass es mir um keinen von ihnen leidtut. Mein Dad hat mich gehasst, meine Mutter ist abgehauen.« Er hatte einen
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